Edgar Allan Poe – frisch und unbenutzt

betr.: 172. Todestag von Edgar Allan Poe

Edgar Allan Poes Erzählungen sind so häufig verfilmt worden, dass sie ein eigenes Genre bilden (in der Fachliteratur werden sie häufig unter diesem Kriterium zusammengefasst). Und doch ist ihre grundlegende Qualität kaum berührt worden. Häufig wurde unter ihren populären Überschriften etwas völlig anderes erzählt – und wie wollte man seine Kurzgeschichten oder das Gedicht „The Raven“ auch zu einem abendfüllenden Film machen? Dass Poe schon in den frühen Tagen des Kinos rechtefrei war, hat ihn seit jeher zu einem Autor gemacht, dessen Sujets sich gut ausplündern ließen. Einige der besten Filme nach Poe entstanden in der Stummfilmzeit, wo das Fehlen des Tons zur Surrealität der Atmosphäre beitrug und die Autoren sich vielleicht noch einen letzten Rest von Achtung vor dem Schöpfer der Urtexte bewahrt hatten. „La Chute de Maison Usher“ (1928) von Jean Epstein gilt als eines der gelungensten Beispiele.
Als im frühen Tonfilm die zweite Horror-Welle durch das Kino rollte, war Poe nur mehr Stichwortgeber. Die frühesten „Adaptionen“, die dem heutigen Publikum noch halbwegs zugänglich sind, dürfte die Reihe von Roger Corman sein. Die Filme entstanden in den frühen 60er Jahren, sind aber weniger Literaturverfilmungen, sondern in erster Linie Horrorfilme, in zweiter Vincent Price-Vehikel und in dritter typische Beispiele für die effektive, preisgünstige Arbeitsweise des Produzenten Roger Corman. Der bearbeitende Drehbuchautor war Richard Matheson, ein Vollprofi des Phantastischen. Obwohl er seinen Dienst mit der üblichen Sorgfalt versah, entlockte ihm viele Jahre später ein Interviewer das Geständnis, Edgar Allan Poe überhaupt nicht zu mögen. Noch größer sind seine Vorbehalte gegen dessen jüngeren Kollegen H. P. Lovecraft: „Ich habe ihn nicht gelesen … erst recht spät, nachdem man mir immer wieder von ihm erzählt hat. Ich fand seine Sachen einfach schwülstig, zu dick aufgetragen. Er redet von Scheußlichkeiten, die einfach zu schlimm sind, um sie zu beschreiben, und fünfzig Seiten später beschreibt er sie dann doch.“ Matheson kritisiert Lovecrafts altmodisch-gruselige Settings, und die dürften ihm auch bei Poe nicht gefallen haben.

H. P. Lovecraft wurde seltener (und niemals überzeugend) verfilmt*, und wenn, dann wurde sich – wie bei Poe – unnötig weit von den Vorlagen entfernt. Bei Bram Stoker beschränkte sich die Filmwelt bisher auf „Dracula“ – dessen unzählige Bearbeitungen den Stil der Originalerzählung verschmähen – während Stokers restliches Werk noch gar nicht angerührt wurde. Dabei hat sich die Formulierung „… vom Autor von …“ auf Filmplakaten ja offensichtlich bewährt.
Tief unten in der Gruft gibt es noch einiges auszugraben.
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* Eine Ausnahme bilden zwei kurze Episoden der Reihe „Night Gallery“. Mehr zu dieser Serie unter https://blog.montyarnold.com/2020/04/28/class-of-99/

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