Nacht im Museum

betr.: 122. Jahrestag des Erscheinens der „Traumdeutung“

Im Frühling 2000 feierte Wien den 100. Geburtstag des sicherlich berühmtesten Buches eines der berühmtesten Söhne der Stadt: der „Traumdeutung“ von Sigmund Freud. Die Wikipedia spricht von Freuds „frühem Hauptwerk“ und weiß zu berichten, dass es vom Autor schon zwei Monate vor dem heiß erwarteten Anbruch des 20. Jahrhunderts erschienen ist, aber auf 1900 vordatiert wurde. Wien leistete sich zum nunmehr kugelrunden Jubiläum im nicht minder aufregenden Jahr des neuen „Millenniums“ eine große surrealistische Kunstausstellung im Historischen Museum: „Träume – 1900 – 2000 – Kunst, Wissenschaft und das Unbewusste“.
Alexander Braun beschwert sich im Vorwort eines seiner verdienstvollen Bücher: „Fünf prominente (Kunst-)Wissenschaftsautoren bemühen sich auf den 300 Seiten des begleitenden Katalogs im Rückblick c.a. 1.000 Kunstwerke vorzustellen, die das ganze Panorama der bildlichen Auseinandersetzung mit dem Traum und dem Unbewussten repräsentieren sollen. Neben diversen Klassikern befinden sich darunter nicht wenige Namen, die auch dem versierten Kenner des 20. Jahrhunderts hier zum ersten Mal begegnet sein dürften und deren Werke zeitlich wie ästhetisch von eher peripherer Bedeutung sind. Ganz offensichtlich legten die verantwortlichen Kuratoren Wert auf die ganze Breite und Weitläufigkeit des Themas. (…) Little Nemo (…) musste leider draußen bleiben – und mit ihm sein Schöpfer, der amerikanische Zeichner und Zeichentrickfilm-Pionier Winsor McCay. Erwähnt wird er in Ausstellung und Katalog weder mit Wort noch Bild. Wie kann das denn sein? Eine Jahrhundertgestalt wie Winsor McCay, dessen Werk zum Thema Traum im 20. Jahrhundert dasteht wie ein Monolith?!“ – Als der international bedeutendste heute lebende deutsche Spezialist zum Thema Comic kennt Alexander Braun natürlich die Antwort: dem Comic, dem zentralen Betätigungsfeld von Mr. McCay, schlug und schlägt noch immer gewaltiger Dünkel entgegen, besonders in einem Museum. Und das sogar dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine amerikanische Kunsthistorikerin das Heft in der Hand hat. „McCay ist Teil ihrer ureigenen Kulturgeschichte. Sie verpasste damit auch die Chance, eine der wenigen eigenständigen kulturellen Leistungen Amerikas in den Fokus (…) zu rücken: den Comic. Während die amerikanische (Hoch-)Kultur noch bis in die Jahre des Zweiten Weltkriegs in ihrem Eurozentrismus gefangen war und erst mit der Generation der ‚Abstrakten Expressionisten‘ eine erste eigene Avantgarde hervorbrachte, galoppierte sie in Sachen Massenmedien Europa bereits im frühen 20. Jahrhundert davon.“

Braun tröstete sich und uns zwölf Jahre nach dem Wiener Versäumnis mit einem Werk, in dem der Schöpfer von „Little Nemo In Slumberland“ umfassend gewürdigt wird („Winsor McCay – Comics, Filme, Träume“). Nemos Abenteuer erschienen von 1905 – 1914, dann wieder Mitte der 20er Jahre und konnten sich auf den vierfarbigen Sonntagsseiten der jeweiligen amerikanischen Tageszeitungen großformatig künstlerisch austoben.

2017 war Braun Co-Kurator einer Comic-Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Im Katalog geht er wiederum auf McCay und dessen museale Aspekte ein: „Der kleine Nemo erforscht jede Nacht in seinen Träumen die schier unendlichen Räume und Hallen des Palastes von König Morpheus. Dort geschehen seltsame Dinge, die auch vor körperlichen Deformationen nicht haltmachen: Surrealismus pur viele Jahre vor dem Surrealismus in der bildenden Kunst.“ Bereits McCays 1904 gestartete Serie „Dream Of The Rarebit Fiend“ hatte sich ausschließlich mit Alpträumen beschäftigt. Das „Erste Surrealistische Manifest“ von André Breton“ wurde erst 1924 veröffentlicht.

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