Briefszenen am Mikrofon (1)

Laut Berechnungen der Deutschen Post werden pro Jahr 2 bis 3% weniger Briefe verschickt. Unter den Jüngeren mag es einige geben, die noch niemals einen bekommen oder geschrieben haben. Dennoch verstehen wir alle das Prinzip dieses Mediums, wenn es uns im Film begegnet, in Serien, Hörspielen o.ä. – und das geschieht dort noch immer häufig.

Wie geht man nun als Sprecher mit dieser Textgattung um?
Dazu muss man sich als erstes klarmachen: wer liest uns den Brief vor? Wen vertrete ich am Mikrofon – den Absender oder den Empfänger?
Bei allen Varianten, die wir uns nun näher ansehen werden, ist wichtig, dass wir uns für eine davon entscheiden. Sie zu vermischen (um einer Entscheidung auszuweichen oder um „es allen recht zu machen“) führt mit Sicherheit zu einer unbrauchbaren Vorstellung.

Variante 1: Der Absender liest uns den Brief vor
a) im OFF

Wenn ich am Mikrofon klingen möchte wie derjenige, der den Brief geschrieben hat, muss ich mir das Rollenprofil dieses Charakters klarmachen und mit seiner Stimme sprechen. Ich muss die im Brief beschriebenen Verhältnisse verinnerlichen und mir fehlende Informationen (die nicht näher erläutert werden, weil sie dem Empfänger bereits bekannt sind oder weil es sich um Geheimnisse handelt) selbst ausdenken. Es ist nicht nötig, sie im Detail mit der Regie zu besprechen. Es ist nur wichtig, das ich über sie bescheid weiß und in den richtigen Zusammenhang bringe, wenn ich den fremden Text schauspielerisch als meinen eigenen ausgebe.

Die meisten Briefe, die wir im Rahmen einer Geschichte hören, werden vom Absender vorgelesen – in aller Regel als Geisterstimme, die der Empfänger beim Durchlesen hört.
Technisch gesehen handelt es sich um einen intimen Monolog, der dem Gestus gewöhnlicher Monologe nicht unähnlich ist. Immerhin braucht der Vortragende nicht nach Worten zu suchen, da er sich ja alles vorher überlegen und es aufschreiben konnte. Anrede und abschließender Gruß werden mit viel Gefühl behandelt.
Wie gesagt: wir befinden uns im OFF.

Eine trauernde Witwe liest die Abschiedsbotschaft ihres Mannes.

Ein Vater bedankt sich schriftlich beim Retter seiner Tochter.

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