Die Vorzüge und Verdienste von Stanislaw Lem sind allgemein bekannt. Taktvolles Schweigen breitet sich darüber aus, dass es in seiner Arbeit erhebliche Qualitätsunterschiede gibt, zu denen zwei schlechte Angewohnheiten des Autors beitragen.
Stilistisch neigt er hin und wieder zu einer Art Zukunftsmärchen für Schulanfänger („In meinem aufgeblähten Raumanzug lief ich unter dem silbrigen hohen Trichter entlang“, schreibt er in „Solaris“. „Leer wie ein geplatzter Kokon stand die zigarrenförmige Kapsel auf einem Becken, das in eine stählerne Erhöhung eingelassen war …“). Fast immer – auch in Meisterleistungen wie „Der Unbesiegbare“ – merkt man ihm das wackere Anschreiben gegen ein totalitäres System an, was ein wenig kokett wirkt, wenn man es einmal bemerkt hat.
In „Schichttorte“ ist alles an seinem Platz. Lem kombiniert einen sogleich einleuchtenden Konflikt mit einem phantastischen Ansatz.
Die Geschichte beginnt mit diesem Dialog:
Anwalt | Guten Tag. Bitte, nehmen Sie Platz! |
Mr. Jones | Danke, Herr Rechtsanwalt! Ich möchte gern, dass Sie sich um meine Angelegenheiten kümmern. Ich versteh‘ nichts davon und habe auch keine Zeit. |
Anwalt | Selbstverständlich, dazu bin ich ja da. Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Haben wir uns schonmal gesehen? |
Mr. Jones | Na, vielleicht haben Sie mich im Fernsehen gesehen, ich bin Rallye-Fahrer. |
Anwalt | Natürlich! Die Mannschaft Jones und Jones. Brüder im Leben und Brüder am Steuer. Dass mir das nicht gleich eingefallen ist. |
Mr. Jones | Es gibt keine Mannschaft mehr. Mein Bruder ist tot. |
Anwalt | Ihr Bruder ist tot. Mein Beileid. |
Mr. Jones | Ach, man sagt „sorry“ und fährt weiter, nicht? ‘n prima Kerl war er. Naja, ein Unfall. Erst vorgestern sind mir die Fäden gezogen worden. Ich muss wieder trainieren, ich bin nicht in Form. |
Anwalt | Sicher. Also was kann ich für Sie tun? |
Mr. Jones | Das ist so, ich bin Junggeselle, mein Bruder war verheiratet. Wir haben uns über Kreuz versichert. Wenn ich umkomme, kriegt er die Summe, wenn er, krieg‘ ich die Hälfte und seine Frau die Hälfte. Das heißt seine Witwe, verstehen Sie? |
Anwalt | Ja, ja, natürlich. |
Mr. Jones | Und jetzt macht die Versicherungsgesellschaft Schwierigkeiten. |
Anwalt | Sie lehnt die Auszahlung der Versicherungssumme ab? |
Mr. Jones | Ja. Nein. – Sie windet sich. Sie will nur einen Teil auszahlen. |
Anwalt | Nur einen Teil aus einer Lebensversicherung? |
Mr. Jones | Darauf läuft es raus. |
Anwalt | Und wie begründet sie das? |
Mr. Jones | Versteh ich nicht recht. Es läuft darauf raus, dass mein Bruder nicht ganz gestorben ist. |
Anwalt | Nicht ganz gestorben ist? Also lebt er? |
Mr. Jones | Ach wo! ‘ne Leiche ist er! |
Anwalt | Wurde er schon begraben? |
Mr. Jones | Viel war da nicht zu begraben, aber die Beerdigung hat stattgefunden. Meine Schwägerin war dabei. Ich konnte nicht, ich lag im Krankenhaus. |
Anwalt | Und wie verlief der Unfall? |
Mr. Jones | Wie sowas passiert. Ich saß am Steuer. Pamperoni wollte mich von links auf die Seite drücken, da hab‘ ich geschnitten, was ich konnte. |
Anwalt | Was haben Sie geschnitten? |
Mr. Jones | Na die Kurven habe ich geschnitten. Bis die verdammte Kurve hinter dem Hügel kam. Der Doktor hat gesagt, er war nicht mehr zu retten. Er hat getan, was er konnte, aber es war nichts zu machen. Seine Pflicht ist es, um jeden Preis Leben zu retten und da hat er also genommen und mich gerettet. |
Anwalt | Dr. Burton, der Chirurg? |
Mr. Jones | Ja mehr oder weniger ist das hier rausgekommen. Ungefähr bis dahin bin ich’s und ab hierher ist das schon Tom. |
Anwalt | Tom? |
Mr. Jones | Mein Bruder. Er hieß Thomas und ich heiß‘ Richard. |
Anwalt | Das heißt, dass aus Ihnen beiden … |
Mr. Jones | Ja, ja, ja, ja … |
Anwalt | Transplantation, ich verstehe. Na schön, aber warum will die Versicherung nicht zahlen? |
Mr. Jones | Ja, das frage ich mich auch, nicht? Sie müssen Sie zwingen, Sie sollen zahlen! Ich bin da, die Witwe ist da, Kinder sind da. Ich hab‘ mich sehr verschuldet und jetzt steht ‘n neues Rennen bevor, ich muss mir ‘n Beifahrer suchen, denn ich bin Rallye-Fahrer und nicht Rennfahrer. Hören Sie mir auch zu? |
Anwalt | Ja natürlich. Haben Sie vielleicht ein Foto ihres Bruders? |
Mr. Jones | Ja. |
Anwalt | Tatsächlich, ich sehe keine Ähnlichkeit. |
Mr. Jones | Das sag ich auch immer! Er war brünett und ich bin blond. |
Anwalt | Darf man wissen, wie der Standpunkt ihrer Schwägerin ist? |
Mr. Jones | Sowas hat die nicht. Sie wartet auf das Geld. Sie muss von irgendwas leben … |
Anwalt | Ja, natürlich. Es geht mir darum, ob sie sich … ob sie sich als Witwe fühlt? |
Mr. Jones | Wie soll sie sich denn sonst fühlen? Wenn der Mann nicht mehr lebt, ist die Frau bekanntlich Witwe, oder nicht? |
Anwalt | Ja sicher, Herr Jones. Ohne Zweifel. Ich denke, Sie haben die Angelegenheit in die richtigen Hände gelegt, in Kürze bekommen Sie eine positive Nachricht von mir. |
Mr. Jones | Das hört man gern. |
Anwalt | Ähm, Herr Jones, sind Sie ganz sicher, dass Sie Richard sind und nicht Thomas? |
Mr. Jones | Wie kann ich Thomas sein? Jeder kann nur er selbst sein, nicht? Mein Bruder war nur Beifahrer, nicht Fahrer. Fahrer, der bin ich. Außerdem gibt’s ‘nen Beweis. |
Anwalt | Was für ein Beweis? |
Mr. Jones | Die Witwe mit den Kindern. Sie sind verwaist, nicht? |
Anwalt | Natürlich. Also wir werden das alles genau durchleuchten. Ich hoffe die Sache wird sich in ihrem Sinne regeln lassen. Auf Wiedersehen! |