Heiße Medien, kalte Medien

Ein heißes Medium schließt aus, ein kaltes Medium schließt ein. Heiße Medien erfordern vom Benutzer nur eine geringe Eigen- oder Ergänzungsleistung, kalte Medien eine hohe.
Ein heißes Medium erweitert einen einzigen Sinn mit hohem Detailreichtum. Hoher Detailreichtum bedeutet, dass das Medium die komplette Information liefert, ohne dass dafür die intensive Beteiligung des Benutzers nötig wäre. Ein Foto besitzt hohen Detailreichtum, ist also heiß, während ein Comic mit wenig Details und einer in groben Zügen gehaltenen Strichzeichnung wenige visuelle Daten bietet und vom Betrachter verlangt, dass er das Bild selbst vervollständigt, also kalt ist.
Das Telefon, das dem Ohr nur wenige Daten übermittelt, ist daher kalt, so wie die Sprache an sich, denn bei beiden muss der Zuhörer einiges ergänzen. Andererseits: das Radio ist ein heißes Medium, weil es mit großer Kraft und Intensität immense Mengen detailreicher akustischer Information liefert, die nur wenig oder nichts der Eigenleistung des Benutzers überlassen. Eine Vorlesung ist heiß, aber das von derselben Person gehaltene Seminar ist kalt. Ein Buch ist heiß, aber ein Gespräch oder eine Diskussion sind kalt.

Marshall McLuhans These von den heißen und kalten Medien – hier im Gespräch mit Eric Norden für die Ausgabe Nr. 3 / 1969 des “Playboy“ zusammengefasst – ist eine, die ich nie völlig verstanden habe und bei der ich auf ein Update des Ende 1980 verstorbenen Medientheoretikers besonders neugierig wäre. Das Radio wäre nach meiner Einschätzung ein kaltes Medium, weil das Hirn der Zuhörenden fast unweigerlich die fehlende optische Ebene hinzufügt. Das Comic-Beispiel bezieht sich offensichtlich auf jene Zeit, in der Comics weitaus stilisierter und verdichteter waren als sie es heute sind, zumal viele noch in Schwarzweiß gehalten waren. Aber auch in fotorealistischer Aufmachung regt der Comic zu einer Umsetzung in eine akustische bzw. bewegte Darstellung an. Film und Fernsehen sowie unsere Streamingangebote haben am ehesten eine „berieselnde“ Qualität, bei sich trefflich dösen lässt, sind also heiß.
Wo hätte McLuhan wohl das Smartphone einsortiert? Einerseits bietet es  eine Vielzahl unterschiedlichster kalter Sinnesreize einschließlich des Telefons, andererseits wäre es niemals so beliebt, wenn es seine Benutzer übermäßig fordern würde. Die beliebig anmutende Kleinteiligkeit der Informationen gerinnt zu einem weißen Rauschen, das seine Betrachter vielfach zu „Smombies“ macht, zu „Smartphone-Zombies“, wie der Zeitgeist sie vorübergehend nannte. Vermutlich hätte McLuhan das ziemlich heiß gefunden.

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