Menetekel in St. Georg

Hin und wieder läuft mir meine alte Kollegin Emmi in St. Georg über den Weg, wo sie vor vielen Jahren gelebt hat, ehe sie über Berlin (was sonst?) nach Sachsen-Anhalt umgezogen ist. Unter ihrer obligatorischen Feststellung, in der Langen Reihe habe sich ja wieder viel verändert, kann ich mir natürlich etwas vorstellen. Aber Geschäfte wie den Comicladen oder den Second-Hand-Shop für CDs und Schallplatten gibt es schon ewig nicht mehr (seit Emmis Zeiten, würde ich spontan sagen). Und gastronomische Einrichtungen machen sich hier genauso breit wie überall in zentraler Lage, der Einzelhandel schwindet parallel dazu. Einmal habe ich in der Straße 14 Möglichkeiten gezählt, an Brötchen zu kommen. Aber es ist ein Werden und Vergehen, manche der Geschäfte existieren nur wenige Monate oder sind mir noch gar nicht als bewirtschaftet aufgefallen, wenn sie sich wieder auflösen (wie etwa das Stehcafé mit dem grauenvollen Namen “Schlürf und Schmatz” …). Zuletzt hat die Zahl der Hipster-Pflegeinrichtungen zugenommen, aber der nördliche Teil St. Georgs ist ja schließlich mal (als das noch eine Rolle spielte, was es gottlob heute nicht mehr tut) ein Schwulenviertel gewesen.

Unabhängig davon ist meine Freude, in dieser Umgebung zu leben, unverändert.
Heute vormittag gab es nach 28 Jahren jedoch den ersten wirklichen Schlag in meine Magengrube: in einem Ladenlokal, dessen Nutzung lange Zeit von Provisorien und klar erkennbaren Opfern der hiesigen Immobilen-Mondpreise ausgefüllt war, hat sich nun ein Botox-Spritzenhaus eingerichtet – besser: es steht kurz vor der Eröffnung. Das entstehende Vorzimmer verströmt durchs Schaufenster die aparte Mischung einer Anmutung von frischer Farbe und seit langem modernder Halbseidenheit.
Wenn ich Emmi wiedertreffe, wird sie vielleicht so nett sein, mich nicht darauf anzusprechen. Obwohl ich nichts dafür kann, wird mir diese “Veränderung” peinlich sein.

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