Debatten? Kultur? Weder noch!

Sinngemäß sagte der rbbKultur-Musikkritiker Kai Luehrs-Kaiser am Dienstag in seiner Sendung:

Mir scheint die Zeit der Debatten vorbei zu sein – zumindest vorübergehend. Oftmals geht es gar nicht um verschiedene Positionen, sondern um Fragen wie: Wer darf über wen berichten? Wer darf über wen urteilen? Wer darf wen übersetzen? usw.
Die letztgenannte Frage war im vergangenen Jahr in der Literatur geradezu bestimmend. Es wurde nämlich grundsätzlich in Frage gestellt, ob z.B. weiße Übersetzer für Texte von people of colour geeignet sind. Eine Debatte scheint mir das nicht zu sein, denn die gegenteilige Position – die, dass es erlaubt ist, als Weißer Texte schwarzer Autoren zu übersetzen – wagt ja niemand zu vertreten. Es wird höchstens stillschweigend praktiziert. Es handelt sich also eher darum, dass eine bestimmte Position unter Umgehung einer wirklichen Debatte mit unaufhaltsamer Macht nach vorne drängt und durchgesetzt wird. Die o. g. Fragen werden nicht mehr diskutiert, wenn nur eine einzige, noch dazu zensorische Position überhaupt zugelassen wird und opportun ist.

Wo kommen solche Redeeinschränkungsbegehren eigentlich her? Die Übersetzungs- und Redeverbote, die derzeit so angesagt sind, haben ja eben das Ende einer Debatte zum Inhalt. Sie streben nicht nach einer Diskussion, sondern nach einer Selbstbeschränkung. Solche Verbote – und das ist das Gefährliche daran – sind nicht einmal debattenfähig. Auch wenn sie redliche Motive für sich in Anspruch nehmen, sind sie im schlimmsten Sinne totalitär und antiaufklärerisch. (Wir erinnern uns: Die Grundbotschaft der Aufklärung bestand spätestens seit dem 18. Jahrhundert in einer Behauptung der Gleichheit / égalité. Dieser Grundsatz bedeutet, dass jeder mitentscheiden und zum Diskurs beitragen kann.) Solche Verbote sind undemokratisch, gerade wenn sie zugunsten einzelner Gruppen erteilt werden. Sie wollen eine Exklusiviät herstellen, während sie sich vorgeblich für Inklusion starkmachen.

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