Franz Kafka und Orson Welles

Fortsetzung vom 3. Juni 2024

Es ist eine dieser großen Hollywood-Anekdoten. Sie betrifft das Zustandekommen eines von Orson Welles‘ umstrittenen Klassikern „The Lady From Shanghai“. Welles erzählt von einem dieser Tage, an denen er mal wieder Geld brauchte: „Ich rief Harry Cohn in Hollywood an und sagte: Ich hab‘ da eine riesige Story für Sie, wenn Sie mir innerhalb einer Stunde telegraphisch 50.000 Dollar anweisen. Welche Story, fragte Cohn. Ich felefonierte von einem Münzfernsprecher, direkt daneben war ein Schaufenster mit lauter Taschenbüchern, und ich nannte einen der Titel: Lady From Shanghai. Ich sagte, kaufen Sie den Roman, und ich mache den Film. Eine Stunde später hatten wir das Geld.“
So grandios das Finale im Spiegelkabinett auch ist, so ratlos hat der Film mich insgesamt hinterlassen. Daher fand ich es beruhigend zu erfahren, auf welch zufällige Weise er initiiert worden war.
Ähnlich verhält es sich mit „Der Prozess“. Warum nur hat mich dieser Film nicht überzeugt, eine Art Zusammenarbeit zwischen zwei Genies wie Welles und Franz Kafka? – Und dann noch mit Anthony Perkins, dem idealen Statthalter Franz Kafkas auf der Leinwand …
Dafür hat Orson Welles eine ähnlich de-romantisierende Erklärung. Er erzählte Peter Bogdanovich die Geschichte* seiner Begegnung mit „zwei Russen namens Salkind, Vater und Sohn“, die Welles als Schauspieler für ihre Verfilmung von „Taras Bulba“ gewinnen wollten. Daraus wurde nichts, denn Hollywood kam dem Projekt mit seiner Version des Stoffes zuvor. Doch Orson „hatte jetzt einen Draht zu ihnen. Und der alte Herr – ein engelhafter, lieber Mensch – gab mir eine Liste mit einhundert Büchern und fragte mich, welches ich machen wollte. Kafkas ‚Prozess‘ stand mit auf der Liste, und als ich sagte, ich wollte ‚Das Schloss‘ machen, weil ich diesen Roman lieber mochte, überredeten sie mich, doch den ‚Prozess‘ zu nehmen. Ich konnte sie nicht dazu bewegen, mich ein Originaldrehbuch machen zu lassen, es musste eine Romanvorlage sein.“
Und ich hatte geglaubt, dieser Stoff und dieser Regisseur müssten einander magnetisch angezogen haben.

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* … der sie mit vielen anderen in dem Buch „Hier spricht Orson Welles“ versammelte.

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