Kabelfernsehen (näher) am Ende

betr.: Der Besitz der Fernbedienung verleiht keine Macht mehr

Mit dem heutigen Tag laufen für Millionen deutscher Haushalte die Kabel-TV-Verträge aus, da Vermieter und Hausverwaltungen die Kosten für den Anschluss nicht mehr über die Betriebskostenabrechnung einziehen dürfen. Nur die Wenigsten werden die in den letzten Monaten geschalteten Werbebotschaften beachtet und sich um ein persönliches Abo gekümmert haben. Viele kerngesunde Fernsehgeräte bleiben nun schwarz. Da sich die Mühe, die Neu-Anmeldung jetzt nachzuholen, nur jene machen werden, die überhaupt noch lineares Fernsehen nutzen, trifft es vor allem ältere Leute, denen solche Schikanen zudem besonders unangenehm sind. Der größte Teil jener, die technisch noch auf Empfang waren, wird den Wegfall gar nicht bemerken bzw. ihn einfach geschehen lassen. Daher ist diese Umstellung eine weitere Wegmarke unserer Mediengeschichte, mehr noch: in der Sittengeschichte der Bundesrepublik.Wie Kathrin Hollmer in der SZ-Wochenendausgabe feststellte, lässt sich das daran anschaulich machen, dass mit dem Kabel-Empfang auch das Zappen aufhört. Der ruhelose Kanalwechsel vom Sofa aus war seit gut 40 Jahren – seit dem Siegeszug der Privatsender – eine beinahe sinnstiftende Marotte und ein Ausdruck familiärer Machtstrukturen. Im Streaming hat er sich erledigt. Dort haben die zu mehreren Fernsehenden zwar das gleiche Problem (sich entscheiden und einigen zu müssen, was laufen soll), doch nun herrscht die zeitgemäße Variante des Konflikts vor. Hollmer: „Man diskutiert 48 Minuten mit dem Partner, welche der 19 Serien auf der Netflix-Liste man schauen soll, guckt sieben Trailer und bricht dann die erste Serie nach elf Minuten ab weil sie doch nicht performt. Was für eine Enttäuschung. Was für ein Druck!“

Zapping als Thema: der Autor 1993 am Set der ProSieben-„Comedy Factory“ in der Rubrik „Monty TV“ (interne Bezeichnung auf der Dispo), die vom Finale meines Soloprogramms „Madame wünscht kein Aufsehen“ abgeleitet war und einem viel berühmteren Kollegen aus Niederbayern sein erstes weithin beachtetes Soloprogramm einflüsterte.

Ich nutze noch immer die Fernsehzeitung, da ich einige ganz wenige Dinge auf keinen Fall verpassen will (und die finde ich dort leichter als in den überbordenden Mediatheken). Das ist etwas verschroben, hat mich aber schon lange vom Zappen entwöhnt. Dennoch befällt mich leichte nostalgische Wehmut, wenn der Artikel die Nebeneffekte, die psychologischen Hintergründe, die Vor- und Nachteile aufzählt, die dem Phänomen anhafteten.

Beim Zapping geht es nicht darum, etwas von Anfang bis Ende anzuschauen. Von kurzen und beliebigen Ausschnitten kann man sich besser berieseln lassen. Manchmal (meistens?) ist es genau das, was wir gerade brauchen: Hirn aus! „Wenn man krank auf der Couch fläzt und keine mentalen Kapazitäten hat, nicht einmal für den simpelsten Plot. Wenn man allein im Hotelbett liegt, die mit dem Partner begonnene Serie aber nicht ohne ihn weiterschauen will (weniger aus Prinzip, sondern weil es im geteilten Account sofort auffällt – ‚Guckt du ohne mich?!?‘). Wenn man sich gerade auf keine neue Serie einlassen will, aber auch keine Lust hat auf den dritten Rewatch von ‚Parks And Recreation‘ innerhalb weniger Monate. Oder wenn man nach dem Tanzen runterkommen will.“

Es verpufft auch ein Vorwurf, der dem linearen Fernsehen rückblickend oft gemacht wird: es sei zu kuratiert, zu vorsortiert, zu bevormundend gewesen. Das Gegenteil ist richtig: es ist der Algorithmus, der uns heute fremdbestimmt – in Kombination mit unserer eigenen Watchlist, die uns Überraschungsfrei um uns selber kreisen lässt. Es ist der heutige Medienkonsum, der dauerkuratiert ist. Man wird nicht mehr auf Sachen stoßen, die man noch nicht kennt, muss sich auf nichts mehr einlassen.
So treibt alles noch ein Stück weiter voneinander weg. „Im echten Leben liegen Arte und Teleshopping viel weiter auseinander. Auf dem Fernseher trennt sie nur ein Zapp.“ Theoretisch …

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