betr.: 103. Geburtstag von Spike Jones
Der Name Jones ist in den USA das, was bei uns der Name Schmidt ist. Und hier wie dort verpflichtet ein gewöhnlicher Name nicht zur Unauffälligkeit.
Spike Jones – Entertainer
Hin und wieder – aber wirklich nur ganz, ganz selten – zeigte der Arrangeur und Orchesterchef Spike Jones, dass er auch als konventioneller Schöntöner einer der Größten hätte werden können: in der ersten Strophe von „Laura“ etwa, im Intro von „Cocktails For Two“ oder immer wieder im Verlauf von „I Kiss Your Hand Madame“. Ansonsten waren seine Versionen großer Song-Klassiker der bare Irrsinn, der schiere Unfug, saukomische, drastische, anarchische Geräuschorgien. Selbstverständlich stimmten die Harmonien immer bei „Spike Jones And His City Slickers“. Er legte – wie sich das gehört – eine Fassung von Bizets „Carmen“ und anderen klassischen Werken vor, außerdem die meistgespielte Aufnahme des vielgetanzten „Black Bottom Stomp“. Auf einem berühmten Portrait des MAD-Karikaturisten Jack Davis hat Jones einen Revolver in der Hand – und das nicht, weil er so ein „guter Amerikaner“ gewesen wäre, sondern weil er damit verdammt gut grooven konnte. Jones’ Aufnahmen waren jahrzehntelang eine wichtige Quelle für Radiojingles, Comedyformate und den Kinderfunk.
Olivia Jones – Damenimitator
Travestie war nicht immer ein Vergnügen: viele ihrer Bediensteten arbeiteten sich im Fummel an ihrer privaten Weltmüdigkeit ab und bezogen ihre Lacher gerade deshalb (von schadenfroher Seite) und trotzdem (als aufmunternde Unterstützung der Mitleidenden). Inzwischen gibt es einen neuen Typus, der sich diesem Dilemma pragmatisch entwindet, z.B. die Hamburgerin Olivia Jones. So zuverlässig sie ihre Rolle ausfüllt, so wenig nimmt sie sich dabei selber ernst. Nie käme sie auf die Idee, aus ihrer Figur eine tragische zu machen, um sich beim Publikum anzubiedern. Und das ist gar nicht mal so häufig in der Welt der Unterhaltung, nicht nur bei Damenimitatoren.
Quincy Jones – Filmkomponist
Quincy Jones ist der Mann, der die drei erfolgreichsten Alben von Michael Jackson produzierte und der schon als Teenager mit Ray Charles und Lionel Hampton musiziert hat. Was bei den wohlverdienten Huldigungen der schwarzen Musiklegende allenfalls in Aufzählungen vergraben wird, sind seine Verdienste um die Filmmusik der 60er Jahre – daran konnte auch die zuletzt immense Beliebtheit dieser Ära anlässlich der Serie „Mad Men“ oder einiger Rat-Pack-Revivals nichts ändern. Aber wer einmal die unfassbar smoothen, coolen Soundtracks für „Mirage“ („Die 27. Etage“) gehört hat, für „In Cold Blood“ oder „The Cactus Flower“, der vergisst sie nicht. „In The Heat Of The Night“ ist ein oft gecoverter Hit, der „Soul Bossa Nova“ ein viel gespieltes Original. Die Vokal-Version des Titelthemas zu „The Pawnbroker“ von Sarah Vaughan ertönt leider nur auf dem Soundtrack-Album, nicht im Film. Ein verdammtes Pech für den Film.
Rick Jones – unvorsichtiger Teenager
Ohne ihn gäbe es keinen Hulk: am 10. Mai 1962 wettete Rick Jones mit seinen Freunden, dass er den Mut aufbrächte, sich mit seinem Cabrio ins Testgelände der schrecklichen Gamma-Bombe vorzuwagen. Bei dem Versuch, ihn von dort zu retten, wurde deren Entwickler, Dr. Bruce Banner, von einer reichhaltigen Dosis der Strahlung erwischt, nachdem er den Jungen in Sicherheit gebracht hatte. Seither ist er dazu verdammt, sich in ein grünes Untier zu verwandeln, wenn er sich zu sehr aufregt. Anfangs kümmerte sich Rick Jones noch um seinen väterlichen Freund, war eine Art jugendlicher Sidekick in der Tradition von „Batman“s Robin oder „Captain America“s Bucky, aber letztlich war der Hulk dazu bestimmt, ein einsamer Serienheld zu sein, eine Mischung aus Mr. Hyde und dem Monster von Frankenstein.
Chuck Jones – Trickfilmregisseur
Chuck Jones war der wichtigste Mann hinter Bugs Bunny, jenem rotzfrechen Trick-Karnickel, das die Disneys das Fürchten lehrte. Jones erfand für die Warner Brothers das liebestolle Stinktier Pépé le Pew und Karl, den räudigen aber erfindungsreichen Coyoten, der nie seinen Roadrunner gefangen hat. Später, bei MGM, war er der letzte Verantwortliche für „Tom und Jerry“, ehe diese von der großen Leinwand verschwanden – und mit den beiden wußte er ausnahmsweise nichts anzufangen. Seine Arbeit für die „Looney Tunes“ um Bugs Bunny, Daffy Duck & Co. blieb sein großes Vermächtnis – klassische 7minütige Trickfilme, die damals, Mitte des 20.Jahrhunderts, im Kino vor dem Hauptfilm liefen.
Als Glanzlicht seiner Karriere gilt „One Froggy Evening“, ein außerordentlich böser Cartoon von 1955, den Steven Spielberg als „The `Citizen Kane’ of the animated short‘ bezeichnete. Er erzählt von Gier, vom Showgeschäft und von einem Ragtime-Frosch, der nicht jedem etwas vorsingen möchte.
Miracle Jones – Büroangestellter
„Miracle Jones“ war Ende der 40er Jahre Held eines Comic-Strips – „Held“ in Anführungszeichen. Jasper P. Jones (Vor- und Nachname spielen auf die Durchschnittlichkeit dieses bebrillten, fast kahlen Männleins an) erlebt in seinen Tagträumen parodistische Abenteuer im Stile von „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“, „Moby Dick“ oder „Alice im Wunderland“. Im wirklichen Leben hatte er es auch nicht leicht: sein Autor und Zeichner Burne Hogarth arbeitete zur selben Zeit an einer Comicserie, gegen deren Ruhm alles andere auf seinem Zeichenbrett keine Chance hatte: „Tarzan“.
Sidney Jones – Operettenkomponist
Wer heutzutage in Erinnerung bleiben will, der sollte nicht gerade Operetten schreiben – ein Tipp, der für den Londoner Theater-Impresario Sidney Jones 120 Jahre zu spät kommt. Gut so, denn sonst hätte er vielleicht die Perlen „San Toy“ und „The Persian Princess“ nicht komponiert. 1896 legte er „The Geisha“ vor, ein Werk, das noch bis in die 70er Jahre hinein hierzulande immer wieder gern gespielt wurde. Okay – der Song „Chin, Chin, Chinamann, bist ein armer Tropf“ klingt heute fürchterlich angenagt, aber das „Papageienlied“ ist ein ungebrochen aktuelles Haustier-Chanson.
Verlängern könnte man diese Aufzählung z.B. mit
„Oracle Jones“ — Westernfigur,
dem mit Donald Pleasence ganz gegen sein übliches Finsterling- und Scheibtischtäter-Image besetzten, und von ihm hinreißend komisch verkörperten versoffenen Wetterpropheten, Spökenkieker und Scout, der in John Sturges‘ unernstem Breitwand-Western „Vierzig Wagen westwärts“ (Originaltitel ‚The Hallelujah Trail‘) die männliche Schicksalsgemeinschaft der Bergbau-Frontier Town Denver (CO) dazu aufstachelt, sich vor Wintereinbruch per Sammelbestellung sicherheitshalber nochmal ausgiebig mit Alkoholika aller Art einzudecken, ehe die Stadt wie gewöhnlich witterungsbedingt monatelang von der Außenwelt abgeschnitten wird. Dieses Unterfangen löst eine Lawine wahnwitziger Verwicklungen aus, die in ihrer Durchgeknalltheit der Schatzjagd aus ‚It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World‘ wenig nachstehen…
Pleasence ist übrigens nicht der Einzige, der in diesem gut zweieinhalbstündigen Monumentalschinken mit Ouvertüre und Intermission (Musik: Elmer Bernstein) gegen den Typ besetzt ist: Martin Landau z.B., bislang ebenfalls eher auf Finsterlinge und harte Typen abonniert gewesen (u.a. gab er die Rechte Hand des Oberschurken James Mason in Alfred Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“), verkörpert urkomisch einen ebenfalls auf Alkoholika versessenen und äußerst schlitzohrigen leitenden Angehörigen der indigenen Bevölkerung.
Nach heutigem Zeitgeist ist dieser Film natürlich in vielfältiger Weise fragwürdig — aber unser alles auf die Goldwaage legender Zeitgeist kann mich mal… Ich habe meinen Heidenspaß an diesem zeitweilig überschnappenden Breitwand-Remmidemmi!
Meinereinem ist der Streifen v.a. aber auch deshalb in bleibender Erinnerung, weil seine deutsche Fassung mir ein Beispiel kongenialer Synchronisationsarbeit zu sein scheint, die das Original in vielen Details für meine Begriffe sogar noch übertrifft: Man vergleiche nur einmal den amerikanischen und den deutschen Chorsatz im Vorspann — soviel Wortwitz, Schmiss und Präzision zugleich würde man in Zeiten von Opas bundesdeutschem Kientopp (1965/66) nicht ohne weiteres erwarten.
(Hätte ich einen Wunsch frei, dann wäre er, dass der ‚St. George Herald‘ vielleicht gelegentlich einmal ein bisschen Hintergrundmaterial zu dieser — und womöglich noch einigen weiteren bemerkenswerten deutschen Film-Synchronisationen der späten Fünfziger und frühen Sechziger Jahre brächte; spontan fallen mir da z.B. die deutschen Libretti von ‚Kiss Me Kate‘ oder ‚My Fair Lady‘ ein…)
Wie stets tausend Dank für diesen tollen Blog, von dem man kaum genug kriegen kann.
Viele Grüße,
HBB