In „Der Zimmerspringbrunnen“ von Jens Sparschuh* erweist sich der Erzähler als ein Mensch, der sich in Alt- und Neubau gleichermaßen nicht zu Hause fühlt.
… zum 1.1. sollte wieder die Miete erhöht werden. Mein letztes Rückzugsgebiet, die Wohnung war also in Gefahr. „Dein Feuchtraum-Biotop“, wie Julia es immer nannte. (…) nach über drei Jahren erzwungenen Hausmannsdaseins wurde das Leben in den eigenen vier Wänden für mich zum täglichen Überlebenstraining. Seit ich regelmäßig auch tagsüber zu Hause saß, merkte ich: Neubauwohnungen sind nichts anderes als Zellentrakte. Dann wieder (…) kam mir die Wohnung wie ein Tier vor. Das aufgeklappte Maul der Tür und hinein ins dunkle Innere. Der lange Flur: die Speiseröhre, die dich verschlingt. Fenster: trübe Augen, die den Blick nach draußen kaum freigeben. Die Rohre sind Adern, Därme die Abflussrohre, ingrimmig glucksend. Unterm dünnen Putz im mürben Fleisch der Betonwand, das flimmernde Nervengeäst: die elektrischen Leitungen.
Um im Bild zu bleiben: mein kleiner Hobbyraum wäre demnach das geistige Schaltzentrum, das Hirn der Wohnung gewesen. Und so war es auch. Sobald ich nämlich den Hobbyraum verließ, mich vielleicht ein bisschen hinlegte, zum Fenster schaute, hatte ich das Gefühl, ich würde allmählich verdaut werden.
Dabei – ich kann mich noch daran erinnern, wie froh wir damals waren, als wir endlich diese Neubauwohnung bekamen, nach Jahren unseligen Angedenkens in einem Mietshaus am Rande des Prenzlauer Bergs. Am Rande des Wahnsinns.
Dieses Mietshaus. Von außen betrachtet, alles in allem, konnte man ja meinen, alles in allem eine ganz passable Bruchbude. Warum nicht? Sogar mit einer Rosette über der Toreinfahrt, noch vom Krieg zerschossen. Überhaupt, die Fassade sah aus, als wäre ‘45 der Krieg vor allem um dieses Haus geführt worden. Aber immerhin zwei Zimmer, Küche und – Luxus – sogar ein schlauchartiges, immer eiskaltes Bad. Zimmer nach Norden. Wenn die Sonne schien, sah man das in den Nachrichten oder an den Schatten der Tauben auf der Hauswand gegenüber. Doch das sahen wir erst später. Dafür als Mittelwohnung von allen Seiten schön eingebaut. Sicher schön warm im Winter, dachten wir. Sicher. Aber auch schön laut, im Frühling, im Sommer, im Herbst und im Winter.
Ich erinnere mich noch an den ersten Abend. Ich dachte mir, wenn erst mal die Teppiche liegen, dann wird sich das schon geben, die Stimmen, die Musik … Es musste ja. Schließlich waren wir, wie es wohnungsamtlich hieß „endversorgt“. (…)
Im Halbschlaf kreisten damals meine Gedanken um eine Maschine, die so konstruiert sein müsste, dass sie auf jedes ankommende Geräusch ein adäquates Gegengeräusch aussenden würde, so dass infolge der Überlagerung der Schallwellen absolute Stille entstünde.
Lange, lange her. Und ich hatte es schon fast vergessen. Die Erinnerung daran kam erst wieder, als die endlosen Tage begannen, die ich von morgens bis abends in unserer Neubauwohnung absaß, ich immer wieder die Mieterhöhungsbescheide las und ich mir vorzustellen begann, wie das wäre, eines Tages wieder (…) zurück in die Bruchbude zu müssen.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2020/05/14/der-zimmerspringbrunnen-hoerspiel-nach-jens-sparschuh-13/