Raben und kleine Fische

betr.: 176. Todestag von Edgar Allan Poe

Edgar Allan Poe erklärte in seinem Essay „Die Methode der Komposition“ anhand des Beispiels „Der Rabe“ – seines berühmtesten Gedichtes -, die Verfassung eines künstlerischen Textes sei eine zuallererst handwerkliche Angelegenheit. Sie folge klaren Regeln, und schon die Veränderung eines Punktes könne alles ruinieren. Gleich zu Beginn räumt er ein, dass die Einfälle „in wirrem Durcheinander“ aufträten und ebenso wieder vergessen zu werden drohen, womit er durchaus die Wichtigkeit der Inspiration zur Grundlage machte.
Es ist eine aufregende, bereichernde Lektüre.
Aber ist ein solches Regelwerk nicht verdächtig? Kann man Kunst in Regeln fassen?

Wer schreibt – auch, wenn es sich nur um bescheidene künstlerisch-handwerkliche Dinge wie das Schreiben für Medien handelt – kennt dieses unentwegte Wechselspiel von unkontrollierbarer Eingebung und dem Befolgen dessen, was sich längst als zielführend herausgestellt hat. Ohne Erfahrung und Organisation geht es nicht.
Aber Poes Text macht mir auch besser als jedes andere Beispiel bewusst, dass es noch lange nicht gleich richtig ist, wenn zwei das gleiche sagen.

Als Mitarbeiter der „Stage School Of Music, Dance And Drama“, wie sie damals noch hieß, durfte ich einst einer internen Veranstaltung beiwohnen, einem Vortrag von Michael Kunze in einem großen Theatersaal. Deutschlands bei Fachwelt und Publikum populärster Liedtexter hätte unzweifelhaft viel Erhellendes zu berichten gehabt. Leider unterließ er es. Er diskreditierte seine Darlegungen bereits dadurch, dass er die Musicalgeschichte ausdrücklich mit Stephen Sondheim beginnen ließ (Sondheim wurde 1930, zwei Jahre nach „Show Boat“ geboren) und ihn dann als seinen Lehrer bezeichnete (Kunze ist sein gelegentlicher Übersetzer). Andere Personennamen kamen in der präsentierten Zeittafel gar nicht vor. Es folgte noch mehr objektiv Angreifbares.

Poes handwerklicher Haupt-Einwand gegen Kunzes Monolog hätte vielleicht darin bestanden, dass dieser sich keineswegs damit zufrieden gab, der wichtigste deutsche Schlagertexter in der Blütezeit des Deutschen Schlagers gewesen zu sein und davon zu erzählen. Er wollte von uns als Erfinder einer neuen Theatergattung wahrgenommen werden. Er nannte sie „DramaMusical“.
Nie gehört?
Eben.

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