Die wiedergefundene Textstelle: Wohnwelten (1)

Besaß denn in diesem Wohnblock jemand einen so ausgeprägten, fein gegliederten und komplizierten Raum wie er? (…)
Nun schwenkte er den Schlüsselbund, auf dem nicht nur gewöhnliche Schlüssel, sondern auch seltsam geformte Sperrhaken baumelten, deren Zweck von den wenigsten zu erraten war. Ein solcher Schlüsselbund erfüllt, wenn er hervorgezogen wird, seinen Herrn mit geheimer Genugtuung, (…) er erschließt die eigensten wohlgeordneten und geschützten Bezirke.
Die helle Beleuchtung der Kellerräume, die alle sinnvollen Anlagen, auf denen der Wohnblock fußt, deutlich hervortreten lässt, hatte er, der Rentner bewirkt. Und sie schien ihn nun jedesmal ausdrücklich zu begrüßen, als sei er eine Art „König des Kellers“. (…)
Heute, so hatte der Rentner dem Hausbesitzer erklärt, muss der Kellerraum mit seinem weißen Anstrich, seinen Heizungsanlagen und Maschinerien, zur Tagwelt gerechnet werden, ein den oberen Stockwerken ebenbürtiger, wenn nicht überlegener Bezirk. Dies hatten die Parteien erst zu lernen, die hier ihr Gerümpel abluden und sich im Übrigen für den Keller nicht interessierten, obgleich sie als Schmarotzer von seinen Einrichtungen lebten. Und bei jedem Defekt riefen sie windige Firmen an, die ihre biertrinkenden Pfuscher herschickten, die sich für nichts, aber auch schon für gar nichts interessierten, weil ja der Chef das Geld einsteckte – ungefähr das Zehnfache des erforderlichen Preises. (…)
Der Schlüssel drehte sich spielend leicht im Türschloss des Hobbyraums, denn alle seine Schlösser, Kugellager und mechanischen Gelenke waren absolut unverrostet und stets geschmiert. Der leichte Öl- und Petroleumgeruch der Werkstatt erfreute ihn jedesmal, ermunterte ihn zur Arbeit oder zur Verbesserung der Maschinen. Bevor er aber damit begann, pflegte er seine Werkstatt eingehend zu betrachten. Fast könnte man sagen, er habe eine Andacht abgehalten, wenn auch natürlich diese produktive Andacht nicht zu vergleichen war mit jener von Kirchengängern, die sich bestenfalls mit vagen Gefühlen aufplustern.

Den Österreichern wird eine Affinität zu den architektonischen Unterwelten, den Kellern, nachgesagt, nachdem dort einige spektakuläre Kriminalfälle von Priklopil bis Fritzl das Abscheulichste des Menschen von unten nach oben gekehrt haben. Der studierte Techniker und Germanist Gerhard Amanshauser, 1928 in Salzburg geboren und 2006 ebendort gestorben, zeigt sich mit „Der Hobbyraum“ als visionärer und gnadenloser Gesellschaftskritiker. Es ist eine Geschichte, die Gänsehaut macht. Ein unauffälliger älterer Herr, ein Altersrentner und Bastler, hat seinen Hobbyraum, die Werkstatt im Keller eines Wohnblocks, zu einer „autarken Zelle“ ausgebaut und versteigt sich in seine Ansprüche nach Perfektion und technischer Präzision. Der Körper, sein Begehren wie sein Zerfall, sind im Weg.

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