Die schönsten Filme, die ich kenne (126): Kikis kleiner Lieferservice

Im Werk des japanischen Trickfilmmeisters Hayao Miyazaki ist es schwer, das eine Meisterwerk zu küren, das alle übrigen seiner Glanzleistungen überstrahlt. Einiges spricht für „Chihiros Reise ins Zauberland“, doch viele andere werden von den Fans immer wieder als „Lieblingsfilme“ genannt und weisen einzelne Vorzüge auf, die in „Chihiro“ nicht hineingepasst bzw. deren Wirkung torpediert hätten. „Kikis kleiner Lieferservice“ (12 Jahre vor „Chihiro“ entstanden) bewährt sich in diesem Gedankenspiel ganz mühelos.

Hexen-Lehrmädchen Kiki verlässt mit dreizehn Jahren ihre Familie, um in einer fremden Stadt ihre magischen Kräfte zu vervollkommnen, so wie es die Tradition vorsieht. Zusammen mit ihrem schwarzen Kater Jiji gelangt sie in eine Stadt am Meer, wo sie eine Bleibe und gute Freunde in einer Bäckerei findet. Und einen Job: einen Backwaren-Lieferservice, für den sie ihre Flugfähigkeit nutzen kann. Der linkische Tombo, der an der Entwicklung eines fliegenden Fahrrades arbeitet, macht keinen großen Eindruck auf sie. Sein Versuch, sie auf eine Party mitzunehmen, um sie mit Gleichaltrigen in Kontakt zu bringen, scheitert an einem schwierigen Auftrag bei Unwetter. Ausgerechnel, als Kikis Magie buchstäblich lebenswichtig ist, droht sie ihr verloren zu gehen. Das Mädchen erlebt die erste große Krise seiner Pubertät …

„Kikis kleiner Lieferservice“ ist verblüffend. Er bringt etwas fertig, was eigentlich nicht funktionieren kann: zärtlichen Slapstick. Ohne einen Schurken oder persönlichen Gegenspieler verschafft er seiner Heldin eine maximale Herausforderung. Ohne dass eine Apokalypse oder der Sieg einer finsteren Macht droht, kommt eine Spannung auf, die noch in der Bildfolge des Abspanns nachklingt. Das Finale mit dem trudelnden Zeppelin mag etwas reißerisch sein (er kommt in den zugrundeliegenden Kinderbüchern nicht vor), doch wirkliche Gefahr droht nur einer Person: Tombo, dessen Rettung der Heldin alles abverlangt. Letztlich ist dieses Husarenstück ohnehin vor allem wegen der Verbindung zwischen Kiki und Tombo interessant (zumindest werden wir eingeladen, es so zu sehen).

Zu Beginn müssen wir uns nur auf eine Besonderheit einlassen: Hexen sind nett haben einen guten Ruf – wenn sie überhaupt jemand zur Kenntnis nimmt. Der kleinen Kiki schlägt in der Fremde vor allem Hilfsbereitschaft entgegen, die Menschen sind freundlich, höchstens mal etwas muffelig. Wie Miyazaki es schafft, diesen kindgerechten Plot zu einer klugen, humorvollen Parabel zu machen, die ohne billigen pädagogischen Effekt auskommt, hat mehr Magie als der Auszubildenden des Hexenberufs selbst zu Gebote steht.
Die vorbehaltlose Art, mit der die Bürger der Hafenstadt Kikis seltsamem Berufsbild begegnen, erinnert an die tschechischen Märchenfilme und -serien, die ihre große Zeit in den 70er Jahren hatten. (Wir reduzieren dieses Repertoire heute auf „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, den schönsten, wenn auch nicht besten Beitrag.) Auch zum Thema „Hexenmädchen findet sich selbst“ gibt es hier ein Programm: „Das Mädchen auf dem Besenstiel“ (1972), bei dem uns damals vorgeführt wurde, wie gefährlich es sein kann, übermenschliche Fähigkeiten zu besitzen bzw. zu erwerben (Strafe: 300 Jahre Nachsitzen). „Kikis kleiner Lieferservice“ ist frei davon, doch mit dem Grusel geht auch die Zauberei weitgehend flöten: sogar die Verwandlung ihrer finsteren Kammer in ein gemütliches Zuhause ist für Kiki Handarbeit (da hilft keine Hexerei). Kiki hat nicht einmal drei Haselnüsse zur Verfügung.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert