Ghosting

Als ich klein war, las ich einen Eintrag ins Poesiealbum, den meine Mutter einst von ihrem Bruder, meinem Onkel Pauli, erhalten hatte. Da stand sinngemäß: „Eine Freundschaft, die zerbricht, hat nie bestanden. Auch nicht, als sie zu bestehen schien.“
Ich fand diese Ansage (sicherlich ein kluges, altes Zitat) sehr beeindruckend und hoffte, sie möge nicht wahr sein. Bis heute bin ich mir da nicht ganz sicher. Aber in Zeiten, in denen dem „Ghosting“ schon ein eigener Anglizismus zuerkannt wird, sollte man da vielleicht nicht so streng sein. Das wortlose Abtauchen aus einer Verbindung / Beziehung / Freundschaft / Bekanntschaft war schließlich noch nie so leicht wie in unserer Ära der sozialen Medien.
Eine andere Beobachtung habe ich jedoch gemacht, die ich heute (gut formuliert) ins Poesiealbum schreiben würde, wenn es dergleichen noch gäbe: Wer ghostet, der ist nicht umzustimmen. Das klärende Gespräch, das sich viele Sitzengelassene zum Abschied wünschen, wäre reine Zeitverschwendung. Es würde sich richtiger anfühlen, aber es würde nichts ändern. Um ist um.

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