betr.: Fachbegriffe / Synergien in der Popkultur: Vier kleine Worte (2)
Dieser vierteilige Artikel beruht auf meinem Unterricht Musicalgeschichte bzw. Mediengeschichte. Die Kapitel: 1. Kult – 2. Trash – 3. Camp – 4. Pulp
Überzogene Budgets können die Entstehung von Trash befördern. Zeitungsausriss zum berüchtigten Kinoflop „Heaven’s Gate“, der immer wieder neu bewertet wird: Trash oder doch ein großes Kunstwerk?
TRASH
„Trash“ („Müll“) ist der im Alltag gebräuchlichste der vier Begriffe. Dort wird er als Schimpfwort in kulturellen / medialen Kontexten verwendet, also wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass etwas doof bzw. den eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden ist. So gesehen kann man bei seiner Anwendung nicht viel falsch machen, denn es weiß ja jeder selbst am besten, was er doof findet. Das beliebte Modewort verstellt uns jedoch leicht den Blick auf die Feinheiten dieses Ausdrucks. „Trash“ kann nämlich zweierlei bedeuten:
- ein minderwertiges Produkt, also ein Werk, das für die angestrebte Wirkung nicht das nötige Budget zur Verfügung hatte. – Special-Effects kosten Geld, Action ist schwer zu fotografieren, und ein Film, der in Frankfurt am Main spielt, sollte nicht mit Kapriolen aufwarten, die nur in Chicago möglich sind.
- ein (materiell) hochwertiges Produkt, das sein Geld nicht wert ist, das also unter günstigen Rahmenbedingungen an seinem handwerklichen / organisatorischen Unvermögen scheiterte. – Ein historisches Beispiel hierfür – es gibt hunderte – ist der Film „Heaven’s Gate“ von Michael Cimino. Überlang, starbesetzt und mit einem großen Thema auf seinen Schultern, enttäuschte er (wie es so schön heißt) Publikum und Kritik.
Mein persönliches Lieblingsbeispiel ist der Film „Glitter“, in dem die singende Grinsekatz Mariah Carey versuchte, sich ein poppiges DramaMusical* mit Tiefgang auf den Leib zu schneidern. Der Film ist derart peinlich, dass er schon wenige Wochen nach seiner Uraufführung Sammlerwert hatte. Ein besonders herzloser Rezensent schrieb dazu: „Take the G out of ‚Glitter‘!“
Ein Produkt, bei dem Anspruch und Umsetzung einander entsprechen, ist demnach kein Trash, auch wenn man es persönlich nicht mag. Wer einen Til-Schweiger-Tatort als Trash bezeichnet, erntet sicher zustimmendes Kopfnicken, verkennt aber m.E. die Verhältnisse.
Kehren wir zur Alltagssprache zurück, bzw. dorthin, wo wir den Begriff häufig antreffen: in der medialen Eigenwerbung (siehe auch „Kult“ im vorigen Kapitel). In einem Klima, in dem Intellektualität als Unsitte eines entrückten Establishments angesehen wird – nicht einmal eine Literatursendung darf heute noch intellektuell sein – kann mit der negativen Konnotation auch kokettiert werden. Der Trashfaktor wird als charmanter Zug verkauft, als Kern einer Tiefstapelei, die das liebenswert-schusselige Element betonen soll. Viele Stars der Kabarett- und Comedy-Szene – wo es seit jeher von Kunstfiguren wimmelt, die als lustige Deppen angelegt sind – funktionieren nach diesem Muster. Als Betrachter können wir uns dem wohligen Gefühl hingeben, nicht ganz so dämlich zu sein, uns aber darauf einigen, dass unsere Freunde und Nachbarn über die hier dargestellte Torheit in reichlichem Maße verfügen.
Auch für den Künstler hat dieses Konzept große Vorzüge:
- Prollige Typen machen weniger Arbeit. Eine Kunstfigur, die immer nur über Frauen, Bier und Fußball redet, bedarf keiner Recherche. Wenn das Format auch noch improvisiert ist, muß man nicht einmal vorher als Autor tätig werden, wird aber für die Leistung gelobt, eine halbe Stunde lang souverän über Frauen, Bier und Fußball geredet zu haben, als ob es gar nichts wäre.
- Schlampigkeit ist ein bequemes Stilmittel. Eine Kunstfigur, die z.B. besonders schlechte Witze erzählt – und darauf spekuliert, dass nach dem Prinzip über sie gelacht wird: „Das ist so blöde, dass es schon wieder lustig ist!“ – braucht keine guten Witze aufzutreiben / herzustellen. Für eine Figur, die schlecht Akkordeon spielt, muß man weniger Akkordeon üben etc.
(Der Nachteil ist, dass der Künstler sich dem Verdacht aussetzt, er könne es tatsächlich nicht besser.) - Wer es mit Produzenten oder Redakteuren zu tun bekommt, hat mit einer dümmlichen Figur bessere Chancen auf eine eigene Sendung, denn nichts fürchten die KollegInnen vom Fernsehen mehr, als dass der Zuschauer sich überfordert fühlen könnte.
Diese Einordnung ist also Geschmacksache (siehe oben), aber absichtlicher Trash ist strenggenommen kein Trash.** Korrekterweise muß auch hier die Bewertung von außen erfolgen und die Devise gelten: „Eigenlob stinkt“.
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* Dieser wie ein Druckfehler aussehende Fachausdruck stammt von Michael Kunze und ist hier unbedingt angebracht!
** Der Bremer Filmjournalist Christian Keßler: „Seit ‚Angriff der Killertomaten‘ (1978) wurden immer wieder Filme absichtlich als Trashkino konzipiert – absichtlich schräg, absichtlich kompromittiert und immer ironisch. Das ist sehr fad. Ich finde es gut, wenn Filme direkt zu mir sprechen.“
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