Ich sehe was, was du nicht siehst

betr.: Film und Wirklichkeit

Auf den ersten Blick erkennen wir an den Möbeln, Klamotten und Frisuren, wann eine Filmaufnahme entstanden ist. Auch die Autos im Hintergrund sind hilfreich – wenn auch nicht für mich. Woran sich aber das Lebensgefühl unserer Zeit im Detail festmacht, womit spätere Betrachter uns unsere „Tatorte“ sofort zuordnen werden, worin das Kolorit besteht – das werden wir so ganz genau erst elf, zwölf Jahre später wissen. – Nach meiner persönlichen Einschätzung. Die große „RTL Zweitausendzehner Show“, die vermutlich im Januar 2020 laufen wird, wird für mich jedenfalls zu früh kommen.
Woher rührt meine diesbezügliche Zurückhaltung?
Es gab ein Jahrzehnt, das mir schon live total überzogen und wie eine Selbstparodie vorkam: die 80er Jahre. Als ich „Zurück in die Zukunft II“ im Kino sah, entschloß ich mich zu einem Experiment. Ich schwor mir, den Film zwanzig Jahre lang nicht wieder anzusehen und erst dann die Wirkung seiner Zukunftsvisionen zu überprüfen. So habe ich es auch gemacht. Der Effekt verblüffte mich: die Szenen, die mir 1989 noch als sehr solider Ausblick ins 21. Jahrhundert erschienen waren, waren immer noch sehr schlau ausgedacht, sahen aber nun so dermaßen achtzigermäßig aus, dass ich einen richtigen Schreck bekam.

In früheren Zeiten konnte man eine Ära aber nicht nur am „Look“ und am “Style“ der Figuren erkennen, sie ließ sich sogar an den Filmgenres ablesen, die besonderen Anklang beim Publikum fanden. Sehen wir sie heute wieder, erfahren wir mehr als nur, was die Leute (und wir selbst) damals trugen und wie sie sich ausdrückten.

Hollywood machte in den 30er Jahren vor allem mit Gangsterfilmen und Musicals Furore. Die Prohibition, die jeden braven Trinker zumindest in die Nähe der Unterwelt rückte, sorgte für große Identifikationsmöglichkeiten mit Leinwand-Gangstern wie „Little Ceasar“, „Scarface“ oder „The Public Enemy“. Die Filmmusicals hingegen, die die soziale Realität der Großen Depression völlig ausblendeten, erlaubten es dem Publikum, für wenig Geld aus einer Welt der Verelendung und Massenarbeitslosigkeit in eine Art-Deco-Kulisse abzuheben, in der Fred Astaire und Ginger Rogers tanzten. Oder James Cagney, der in beiden Genres ganz groß wurde: der archetypische Filmgangster führte auch den „Yankee Doodle Dandy“ zu Oscar-Ruhm.
Ähnlich ging es uns Deutschen nach dem Krieg: wir waren froh über alles, was von unserer Heimat noch übrig war – und in den Jodelschmonzetten mit Rudolf Prack und Sonja Ziemann sah sie nicht nur besonders heil sondern auch besonders bunt aus. Später wurde dieses Repertoire kopfschüttelnd als „Opas Kino“ beschimpft.
An den Horror- und Science-Fiction-Filmen, die in dieser Zeit aus den USA kamen, ließ sich deutlich die Paranoia des Kalten Krieges ablesen. Die Angst vor der schleichenden kommunistischen Unterwanderung drückte sich in „Invasion Of The Body Snatchers“ aus, der immer wieder Remakes nach sich zog. Die Gewißheit, dass der (sicherlich unmittelbar bevorstehende) Dritte Weltkrieg ein Atomkrieg sein würde, belebte den Mutationshorror von Jack Arnold und seinen Kollegen: Riesenspinnen, Riesenameisen, Fischmenschen und Gesteinsmonster bedrohten die Zivilisation – und wurden vom Militär in die Flucht geschlagen.°
In den 80er Jahren war es hüben und drüben das Kinderkino von George Lucas und Steven Spielberg, das den größten Profit einfuhr. War das vielleicht eine Reaktion auf die „Null-Bock“-Generation, über die sich ständig beklagt wurde, eine „Jugend von heute“, die sich gesellschaftlich nicht einbringen wollte? Ich bin mir nicht ganz sicher.

Aber was verraten bloß die Filme über uns, die heute die Kinocharts anführen?
Was sagen die „Twilight“-Filme aus, die „Fluch der Karibik“-Reihe, die „Herr der Ringe“-Trilogie, die Superheldenwelle?
Ganz ehrlich – ich habe nicht die leiseste Ahnung.
Wissen Sie`s?


° Dieser historische Trend wird in der „Rocky Horror (Picture) Show“ gründlich persifliert – siehe Blog vom 21.9.2014.

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