Von Angesicht zu Mikrofon: „On“ und „Off“

betr.: 53. Jahrestag von Hans Clarins erstem Auftritt als „Pumuckl“

Dieser Artikel basiert auf dem Workshop „Einführung ins Mikrofonsprechen“. (Fachleuten wird er vermutlich wenig Überraschendes bieten.)

Wenn Otto Heinrich Kühners Buch „Mein Zimmer grenzt an Babylon“ (1954) ein seriöses Zeitzeugnis ist, war das Hörspiel Anfang der 50er Jahre eine sehr unbeliebte Kunstform. Das ist verblüffend, vor allem vor dem Hintergrund, dass es die Alternative Fernsehen in Deutschland praktisch noch nicht gab. Kühner macht den damaligen Hörspielen den Vorwurf, sie seien perspektivisch an ein großes Publikum gerichtet, anstatt zu beachten, dass die Konsumenten sich in winzig kleine Gruppen und Einzelpersonen mit vielen eigenen Lautsprechern aufteilten. Nun, vielleicht war Kühner doch nicht ganz objektiv, denn den mir bekannten Hörspielen aus dieser Zeit konnte ich diesen Fehler nicht nachweisen.

Der Unterschied, um den es hier geht, ist dennoch eine der wichtigsten Einteilungen, die in der Mikrofonarbeit vorgenommen werden, die Trennung von On und Off. Besonders gut läßt sich das am Beispiel eines Werbespots anschaulich machen. Im On sagt die eine Hausfrau zur anderen „Mein schöner Pulli! Erst zweimal gewaschen und schon total verfussellt!“ Ihre Nachbarin tröstet sie und gibt ihr den unvermeidlichen guten Rat. Dann kommt der Off: eine körperlose Stimme (etwas präsenter aufgenommen), die so etwas sagt wie: „Jetzt neu! Kaufen auch Sie!“ und die den Namen des Produktes noch einmal wiederholt. Die beiden Damen können diese Stimme nicht hören, ebenso wie James Bond die Filmmusik von John Barry nicht hören kann.

Diese Aufteilung ist uns Medienbürgern so vertraut wie der Wechsel von Tag und Nacht, und das nicht nur in der Werbung. Der Off bleibt aber künstlerisch betrachtet die geheimnisvollere der beiden Perspektiven. Wie mir eine ältere Kollegin ohne Wenn und Aber mitteilte: die Beherrschung der Off-Sprache ist das Schwerste überhaupt!
Das ist schon deshalb so, weil es die raum- und identitätslose Erzählerstimme in der Natur unserer Kommunikation nicht gibt, während Dialoge zum Alltag gehören.
Wer einer Einzelperson eine Geschichte erzählt, tut das auf eine redundantere, persönlichere Weise als die Stimme eines Hörbuchs; wer wiederum einen Vortrag hält, richtet sich direkt an eine gleichzeitig anwesende (größere) Zuhörerschaft, spricht mit gehobener Stimme und hat (auch im Falle der heute gängigen Mikrofonverstärkung) nie die nuancenreiche Intimität eines Erzählers aus dem privaten Lautsprecher.
Am nächsten kommt noch die Vorlesung aus einem Märchenbuch an dieses Phänomen heran, aber hier ist die erwachsene Bezugsperson immer auch Teil der Geschichte. Sie kann außerdem Fragen beantworten („Warum wollen die schönen Prinzen eigentlich immer unbedingt eine Prinzessin haben?“) oder das Kind trösten, falls es mit der Bestrafung des Bösewichts unzufrieden ist.
Der klassische Off spendet keinen Trost. Er muß die Balance finden zwischen einer Objektivität, die nicht versucht, mit den handelnden Figuren zu konkurrieren und selbst in der Geschichte mitzuspielen, darf aber andererseits nicht zu neutral und distanziert sein, um dem Zuhörer nicht emotional im Wege zu stehen.
Und: er darf keine zu ausgeprägte Persönlichkeit zur Schau stellen. Was im On notwendig ist, um das Kopfkino zu befeuern, ist im Off verheerend. Wenn der Erzähler eine Marotte hat – einen Dialekt oder die Neigung zu Schmatzlauten -, dann fragt sich der Zuhörer sofort „Wer spricht denn da?“ und stellt Vermutungen darüber an, wie der Mensch wohl aussieht, der da redet.
In diesem Augenblick ist er für den Inhalt verloren und versäumt einen Teil der Geschichte. Unweigerlich!

Anders ist es, wenn wir die schräge Type gut kennen, die da redet. Ein Hörbuch, das von Daffy Duck gelesen würde, wäre auch mit Marotten durchsetzt. Aber wer von uns ist schon Daffy Duck?

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