betr.: 87. Geburtstag von Sergio Leone / Die Legende vom Wilden Westen in der Filmkunst
Es liegt mir fern, für die Waffennarretei der Amerikaner Verständnis haben zu wollen, aber angesichts der Entstehungsgeschichte dieser Nation leuchtet sie durchaus ein: der weiße Siedler griff nach der Knarre, um sich gegen Eingeborene, Grizzly-Bären und Berglöwen zur Wehr zu setzen, und er mochte sie nicht wieder hergeben, als die letzten von ihnen erlegt waren.
Er ließ sich diese geistige Kinderkrankheit in die Verfassung schreiben – aber das ist nicht weiter von Bedeutung. Ein echter Amerikaner würde sich den Waffenbesitz ebensowenig verbieten lassen wie den Alkoholkonsum.
Alle High-School-Massaker werden ihn nicht zur Besinnung bringen. Es bräuchte eine „Stunde Null“ (– und ein solches Opfer wäre die Sache vielleicht auch wieder nicht wert). – Barack Obama kann das als gebürtiger Hawaiianer natürlich nicht nachvollziehen.
Obschon das Kino diese Vorgänge praktisch von Anfang an verklärte, läßt sich der Weg der Schußwaffe ins Herz des Amerikaners doch darin nachverfolgen – und das zum Entzücken der Welt. Wie wichtig der Western noch immer ist, läßt sich schon daran ablesen, dass er uns sofort einfällt, wenn es um Filmgattungen geht, obwohl er (im Gegensatz zu Krimi und Schnulze) in unserem Medienkonsum längst keine Rolle mehr spielt.
Der zwölfminütige „The Great Train Robbery“ (1903) von Edwin S. Porter gilt als erster Film der Geschichte mit einer dramaturgisch strukturierten Handlung. Zum Schluß schockierte Darsteller Justus D. Barnes das Publikum, indem er die gesamte Trommel seines Revolvers darauf abfeuerte. Dieser Auftritt eröffnete und beendete ab 1978 jede Folge der ZDF-Serie „Western von gestern“.*
Der Western gliedert sich in sechs Kategorien:
1. Der Dutzend-Western
Schon in der Stummfilmzeit wurden sie en masse hergestellt: Abenteuergeschichten um Cowboys und Indianer, um Überfälle auf Postkutschen und Fernzüge, über den Goldrausch. Die Schauspieler konnten ihre Kostüme noch aus dem privaten Kleiderschrank beziehen. Bis zum Niedergang des Genres gut 60 Jahre später gab es einen stetigen Strom rasch heruntergekurbelter Westernware. Diese Kultur blühte ab den 50ern parallel auch in Form unzähliger TV-Serien. Im Deutschen Fernsehen bildete sich eine Mischung aus beidem: die kleinen schwarzweißen Billigwestern (B-Pictures der 30er und 40er Jahre) wurden im ZDF-Vorabendprogramm als „Western von gestern“ verabreicht.
2. Der Edelwestern
Obwohl es schon im Stummfilm ruhmreiche Großproduktionen gegeben hatte, beginnt das Goldene Zeitalter des Westernkinos in den späten 30er Jahren. „Stagecoach“ weckte nicht nur das in der Depressionszeit wenig beliebte Genre aus dem Dornröschenschlaf, sondern verhalf auch seinem Hauptdarsteller zu Weltruhm und historischer Größe. John Wayne wurde in den folgenden Jahren vor allem unter der Regie von Howard Hawks und John Ford zum Charakter-Cowboy schlechthin. „Rio Bravo“ von 1958 gilt als einer der besten Filme überhaupt und rechtfertigt nach Meinung einiger Historiker allein schon die Existenz Hollywoods.
3. Der Spätwestern
In den Western der späten 60er Jahre sieht man noch immer die gleichen alten Recken und Raufbolde auf der Leinwand: James Stewart, Robert Mitchum, John Wayne (der seine eigene Krebserkrankung in „Der letzte Scharfschütze“ thematisiert).
Bis in unsere Tage folgen ihnen vereinzelte Nachzügler und Remakes alter Erfolge sowie ambitionierte Genre-Persiflagen wie „Das finstere Tal“. Unterdessen lebt der Typus des Westernhelden als Mutant in Großstadt-Western weiter: in Gestalt von Privatdetektiven wie Charles Bronson und Clint Eastwood (siehe auch Punkt 5) alias „Dirty Harry“.
4. Der Naherholungs-Western
Das Kino der jungen Bundesrepublik – das bald als „Opas Kino“ verspottet werden wird – rächt sich an den Alliierten, indem es zunächst den englischen Kriminalfilm in der „Edgar-Wallace“-Reihe schändet und schließlich ab 1962 eine Reihe von Karl-May-Verfilmungen produziert. Der sächsische Autor der Romanvorlagen hat die USA nie betreten, und die Drehorte liegen in Osteuropa. Immerhin wird die Besetzungsliste mit internationalem Personal aufgejazzt: mit Stewart Granger aus England und Hollywood, dem Italiener Mario Girotti (später Terence Hill, siehe auch Punkt 6), dem feschen Tarzan-Darsteller Lex Barker und dem Franzosen Pierre Brice als dem Titel-Apachen. Der Erfolg ist fulminant und bis heute ungebrochen.
5. Der Spaghetti-Western
Der wichtigste Regisseur des Italo-Western, Sergio Leone, hat berichtet, er und seine Kollegen hätten sich über die betulichen deutschen „Winnetou“-Filme geärgert und seien durch sie dazu aufgestachelt worden, sich selbst in diesem Genre zu engagieren. So kommt es zu einer Flut kommerziell und künstlerisch erfolgreicher Western, die dreckiger, pessimistischer, schlichtweg glaubwürdiger sind als die Vorbilder aus Hollywood. Ihre Art und Weise, den Tod zu inszenieren, ist erkennbar von einer anderen italienischen Kunstform beeinflusst: der Oper. Bereits der frühe Beitrag „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) setzte sich als „’Casablanca‘ des europäischen Western“ durch und bleibt das Hauptwerk der Gattung.
6. Parodien
Praktisch alle wichtigen Comedy-Teams Hollywoods (auch des Trickfilms) haben parallel zum Original Western-Comedies bzw. –Musicals vorgelegt. Italien betreibt mit Terence Hill und Bud Spencer eine eigene Niederlassung, die es in 18 Jahren auf 15 Klamotten bringt. Hierzulande und heutzutage sind die Beispiele spärlicher, zumal zuletzt sogar der freundliche Apache „Winnetou“ mit Aneignungs- und sogar mit Rassismusvorwürfen zu kämpfen hatte.
Auch im Comic, einem in den USA entstandenen Medium, wird der Wilde Westen häufig thematisiert. Die Ausstellung dazu, „Going West!“, war im Wilhelm Busch Museum Hannover zu sehen.
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* Die Abbildungen stammen aus dem Ausstellungskatalog „Going West!“. Ab kommenden Donnerstag, dem 7.1. beschäftigt sich Alexander Braun an dieser Stelle in einem lesenswerten Auszug daraus mit dem heutigen Thema.