betr.: 79. Todestag von Adele Sandrock / Arthur Schnitzler
Manch eine prominente Persönlichkeit konnte man sich als Mensch meiner Generation nur in alt vorstellen – oder doch am Ende ihres Weges: Louis de Funès, Hanns Martin Schleyer, Margaret Rutherford u.a.m.
Die Unmöglichkeit, sie sich auch nur als halbwegs jungen Menschen auszumalen, war und blieb jedoch nie so groß wie bei Adele Sandrock. Zunächst einmal war sie die größte „komische Alte“ weit und breit. Außerdem fielen ihre frühen Jahre in eine Ära lange vor der Zeit der magnetischen Bild-, ja sogar Tonaufzeichnung.
Später erfuhr ich immerhin, dass sie die Muse eines großen Theaterautors war. Im untergegangenen Wien des Walzertraums.
Arthur Schnitzler war auf dem besten Wege ein reiner Skandalautor zu werden, also einer, an den sich die Nachwelt nach dem Abflauen der zeitgenössischen Entrüstung nicht mehr erinnern sollte.
Nach seinem Erfolg mit dem „Anatol“-Zyklus zeigte sich Schnitzler von einer Seite, die für das Jahr 1893 geradezu feministisch anmutet: In „Das Märchen“ ergreift er Partei für eine junge Frau, die nach einer Verführung nicht mehr gesellschaftsfähig ist. Die Hauptrolle dieser „gefallenen“ Person, die nach zwei Liebesverhältnissen keine Reue zeigt, sondern mit erhobenem Haupt ihren Weg geht, wollte niemand spielen – außer Adele Sandrock. Sie brauchte nur zwei Vorstellungen durchzuhalten, dann wurde das Stück abgesetzt!
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die junge Schauspielerin durchaus schon einen Ruf zu verlieren hatte, als sie diesen Mut aufbrachte. Sie wird sich vielleicht auch gesagt haben: wer, wenn nicht ich?
Im heutigen Schnitzler-Ober-Klassiker „Reigen“ (das Werk lag jahrzehntelang im Giftschrank und wurde ihm nur knapp und posthum durch Schnitzlers Sohn wieder entrissen) widmet der Autor dieser außergewöhnlichen Dame die Szene „Der Dichter und die Schauspielerin“ – erraten: er selbst kommt auch drin vor.