Der Song des Tages: „Was in der Welt passiert“

betr.: 39. Todestag von Elisabeth Flickenschildt

Zu den ersten frechen westdeutschen Propagandalügen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zählt jene, dass „Opas Kino tot“ sei. Das war es keineswegs – es grünte und blühte um die Zeit dieser unbedachten Äußerung, und im Gegensatz zu den Produkten seiner Toterklärer tut es das bis heute. Es lebt im Fernsehen fort. Es findet immer neue Fans und Hohepriester, die zum Beispiel die „Egdar Wallace“-Reihe im Rahmen ganzer Thementage im Fernsehen genießen können. arte hat den deutschen Gruselkrimis vor einigen Jahren eine Doku gewidmet. Keiner der Zeitzeugen konnte sich allerdings dazu aufraffen, diese Filmreihe wirklich zu loben oder sich auch nur augenzwinkernd zu ihr zu bekennen. Selbst Wallace-Gewinnler Oliver Kalkofe ruderte sichtlich, bevor er sich schließlich mit einer etwas hilflosen Epistel aus der Affäre zog, im Sinne von: ach, ich weiß auch nicht – schon irgendwie schräg das Ganze …

Die Gründe für diese Verlegenheit sind jedem klar, der eine beliebige Passage aus einem Wallace-Film gesehen hat. Wer das noch nicht getan hat, dem empfehle ich die Production Number zu Beginn von „Das Gasthaus an der Themse“. Die (laut Georgette Dee) „große Hysterikerin“ des Deutschen Films, Elisabeth Flickenschildt, wandelt auf den Spuren der emigrierten Saloon-Betreiberin Marlene Dietrich durch besagte Kaschemme und „singt“ ein „Lied“.
Umrahmt von lichtscheuem Gesindel, das wirkt, als hätte sein letzter großer Raubzug dem Kostümfundus des Studio Hamburg gegolten, hustet sie eine Kinderfunk-taugliche Parabel hervor, in der die Romantik des Gaunerlebens hochleben darf.
Und die Stunde, zu der es sich hauptsächlich abspielt:

Was in der Welt passiert und was uns amüsiert,
geschieht besonders in! Der! Nacht!
Auch was man Liebe nennt, so wie’s der Fach-Mann kennt,
geschieht besonders in! Der! Nacht!
Von Abends bis morgens tut sich so mancherlei.
Und wenn es hinterher in jeder Zeitung steht,
merkt es sogar die Po! Li! Zei!

Ein verführerisch gemeintes Grinsen ist auf den Zügen der Diva festgefroren, als sie diese kecke Verherrlichung zivilen Ungehorsams präsentiert. Ihr heiseres Hauchen würde kaum durch den Lärm einer Gaststätte dringen, doch Kino ist Illusion. Und so dürfen sich unsere Fingernägel lustvoll kräuseln bei der rhetorischen Frage, wie ernst die Interpretin das alles wirklich meint.
„Sowas wird heute überhaupt nicht mehr gedreht!“ klagt der Volksmund gern, und das ist ein Segen für die Stargäste künftiger arte-Dokus, die sich einmal mit dem Kinoschaffen unserer Tage werden auseinandersetzen müssen.

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Eine Antwort zu Der Song des Tages: „Was in der Welt passiert“

  1. thomas g. sagt:

    wunderköstlich. kenne ich schon 100jahre. fast.

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