Die schönsten Comics, die ich kenne (1): „Gefährliche Ferien“

betr.: 59. Jahrestag des ersten Auftritts von „Asterix“

Es gibt neben dem Kanon der Comic-Klassiker, der sich erfreulicherweise in den letzten  Jahren im Feuilleton herausgebildet hat, ein paar andere Werke, die weniger oft gelobt werden. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sie es alle miteinander nicht verdient hätten. Mehr als je zuvor neigt unsere Medienkundschaft dazu, auf jedem Gebiet nur eine oder zwei große Nummern anzuerkennen und den Rest fast weitgehend zu ignorieren.
Der Volksmund kennt für dieses Phänomen das Bild vom Teufel, der immer auf den größten Haufen kackt. Dieser eine Haufen ist so groß wie nie und die kleineren fast völlig verschwunden. Die hiesige Rezeption der Asterix-Comics ist ein beliebiges Beispiel. Ein Drittel ihrer globalen Auflage von 355 Millionen entfällt auf den deutschen Markt und bedeutet somit auf unserem Comicmarkt den uneinholbaren Löwenanteil. (Eine Neuerscheinung bringt es in Deutschland etwa auf 2,5 Millionen, „Der Papyrus des Cäsar“ schaffte es in letzten Jahr auf Platz 1 der Beststellerliste Belletristik. Von den alten „Asterix“-Ausgaben werden pro Jahr allein im Pressegrosso 900.000 Stück verkauft.)

Obwohl auch zu meinen Lieblingscomics mit „Der Kampf der Häuptlinge“* und „Die Trabantenstadt“ zwei Asterix-Titel gehören, wird es im Laufe dieser Reihe zumeist um kleinere, verwegenere Werke gehen – manche durchaus bedeutsam, andere gänzlich in der Obskurität versunken, einige jüngeren Datums, viele aus der langen Zeit, seit es Comics gibt. Kurzum: es geht um Comics, ohne die ich mir meinen Bücherschrank nicht vorstellen kann – und mein Leben nicht so gern vorstellen möchte.
Das Ganze ist ein Spiel, eine Einladung zum Streit und dazu, eine eigene Liste zusammenzustellen. Und – mehr als all das –: eine Ermunterung, diese Hefte und Bücher (wieder einmal) selbst zur Hand zu nehmen. Das wird im einen oder anderen Fall nicht leicht sein, aber zum Glück gibt es ja inzwischen nicht nur einen Kanon, sondern auch einschlägige Antiquariate.

„Isnogud, der bitterböse Großwesir“ in „Gefährliche Ferien“
Text: René Goscinny, Zeichnungen: Tabary, Übersetzung: Gudrun Penndorf
Deutsch 1975 im Ehapa Verlag Stuttgart

Aus den zahlreichen Episoden um den verhinderten orientalischen Attentäter und Putschisten Isnogud eine besonders schöne herauszusuchen, ist delikat. Bis zum frühen Tod des Comictexters, -Szenaristen und –Verlegers René Goscinny erschienen 14 Bände (danach zeichnete Tabary die Serie allein weiter), und in jedem davon waren mehrere hinreißende Geschichten versammelt, die alle nach dem gleichen Muster abliefen: „Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen“. Kalif ist nämlich bis auf Weiteres der grundgute aber knotendoofe Harun al Pussah, der zu keiner Zeit ahnt, welch ruchlosen Karrieristen er sich da als Großwesir in den Pelz gesetzt hat. Doch ihm geschieht nichts: alle Mordversuche des Feindes im eigenen Palast schlagen fehl und vernichten zumeist den Täter selbst. (Am Anfang der nächsten Folge ist dann alles wieder beim Alten.) Der Erfindungsreichtum, die unverdrossene Hingabe Isnoguds lässt sich allenfalls mit den wilden Konstruktionen von Karl, dem räudigen Coyoten aus den Warner-Cartoons vergleichen, der jahrelang dem Road Runner nachstellte – mit der gleichen Erfolgsquote.
“Gefährliche Ferien“ ist mein unangefochtener Favorit der Isnogud-Reihe. Was alle diese Bücher zu einem solchen Vergnügen macht, blüht in der Titelgeschichte des dritten Bandes in rauer Menge und exakter Dosierung: Goscinnys Kalauer sind noch ein wenig beknackter als sonst, der Blick auf die Volksseele – in diesem Falle auf ihr Pauschaltouritum, das in Frankreich mit seinen zweimonatigen Sommerferien eine besondere Bedeutung hat – ist noch etwas bissiger als üblich. Auch das Personal lässt keine Wünsche offen: die Service-Wüstlinge der Tourismusbetriebe, die auf Reisen eher unbraven Bürger, der herrische Bademeister, der entsetzlich aussehende Herr Aufenthalt (Leiter des Hotels „Schöner Aufenthalt“).

Von Goscinnys drei größten Erfolgen sind die anderen beiden – „Asterix“ und „Lucky Luke“ – um Längen beliebter und bedeutsamer. Beide werden auch wegen ihrer historischen Genauigkeit gelobt – was für mich wenig Bedeutung hat, wenn ich mich einfach nur kaputtzulachen möchte. Das duftende, farbenfrohe Bagdad wird ohne Rücksicht auf geschichtliches Bewusstsein und stimmige Requisiten gezeichnet und ist somit weder für den Geschichts- noch für den Erdkundeunterricht geeignet. Dass es „Isnogud“ dennoch sogar in unseren Tagen (da der märchenhafte Orient in sein gruseliges Gegenteil gekippt ist) gelingt, Frohsinn zu verbreiten, ist eine ganz besondere Leistung.

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* Die Verfilmung dieses Comics ist heute abend und morgen um 14 Uhr 40 unter dem Titel „Asterix – Operation Hinkelstein“ zu sehen. Um die Handlung auf Spielfilmlänge zu bringen, wurde sie mit der Asterix-Episode „Der Seher“ verschränkt.

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