Die schönsten Comics, die ich kenne (3): „Die Wahrsagerin“

„Pauli“ in “Die Wahrsagerin“
Text und Zeichnungen: Branco Karabajic
(erschienen in „Fix und Foxi“ 31/1974 und 27/1989)

„Pauli“ war eine der beliebtesten Dauerserien im Universum von Rolf Kauka und seinem Magazin „Fix und Foxi“. Er trat schon 1954 erstmals in einer Gastrolle bei den frechen Füchsen auf – da war er noch kurzsichtig, sah wie ein richtiger Maulwurf aus und buddelte mit seinem Spaten in der Erde herum. Die dunkelgrüne Mütze fehlte noch, und er war offensichtlich ein erwachsener Charakter – zumindest kam er schon mal mit brennender Zigarre um die Ecke. (So etwas war damals in einer Publikation durchaus möglich, deren Herausgeber bestrebt war, „saubere Unterhaltung“ für Kinder zu präsentieren.) Später sah man Pauli stets an der Oberfläche, und er grub nur, wenn es der Verlauf der Geschichte erforderte. (Einmal tat er das mit Hilfe einer eigens entwickelten Tief-Bohrmaschine.*) Er war inzwischen eindeutig als kleiner Junge angelegt. Seine Eltern waren definitiv keine Maulwürfe, aber die waldreiche Ortschaft, in der er lebte, hieß Maulwurfshausen (ab 1958) und wurde von jenen Disney-typischen  Tiergestalten mit Hundenasen bevölkert, die sich auch Rolf Kauka (der „deutsche Disney“) einverleibt hatte. (Ich möchte meinen Leserinnen und Lesern für diese Geschöpfe den Begriff Hunahoms vorschlagen.)

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Eine beinahe schicksalhafte Begegnung in Maulwurfshausen, Ende der 50er Jahre.
In dieser Form lernte ich den Comic als halbwüchsiger „Fix und Foxi“-Leser kennen.
Paulis bester Freund ist Mausi, und die meisten ihrer gemeinsamen Abenteuer sind aus der Perspektive der beiden Knaben erzählt, die sich in unaufgeregter Weise an der Welt der Erwachsenen reiben oder sich mit Gleichaltrigen herumschlagen. Mit der Zeit wachsen nämlich ein paar Nebendarsteller dazu – z.B. das Maulwurfsmädchen Mimi oder Paulis Lieblingsfeind Egon (ein Hamster, den ich für ein kleines Bärchen gehalten hätte).
In meiner Lieblingsgeschichte „Die Wahrsagerin“ treten all diese Chargen nicht auf. Ausnahmsweise bildet Pauli ein Team mit seinem Papa Eduard Baumeister, und ihre Gegnerin ist die Stimme der Vernunft – in Gestalt von Mutter Paula.

Bei einem Waldspaziergang entdecken Pauli und sein Vater die Ruine einer Bretterbude. Das war früher der Arbeitsplatz einer Wahrsagerin, erfährt Pauli auf Nachfrage, die irgendwann einfach weiterzog. Als Papa Baumeister laut darüber nachdenkt, die gute Frau müsse wohl ein Vermögen mit ihrer Wahrsagerei verdient haben, kommt Pauli auf die Idee, den Betrieb wieder aufzunehmen. Da sein Vater alle Leute im Dorf gut kennt, müsste er ihnen doch mühelos sonstewas erzählen und vielleicht auch ein kleines Vermögen machen können.
Mutter ist zum Glück nicht im Haus, und so können die Männer das Heim ungehindert ausschlachten – den Schuppen abbauen, um Holz für die Renovierung der Hütte zu gewinnen, die Vorhänge aus dem Wohnzimmer stehlen, um diese zu dekorieren („Wenn wir reich sind, kaufen wir lauter neue, hübschere Sachen!“), und auch der übrige Besitz bleibt nicht verschont. Um für das neue Unternehmen zu werben, erhalten die ersten Kunden der Wahrsagerin viele Geheimtipps, was für tolle Sachen im Wald herumliegen (das gefüllte Sparschwein der Familie, Mutters Pelzmantel …). Pauli muss diese eilig vor ihnen auf dem Weg platzieren. Er hat ein zunehmend flaues Gefühl dabei, zumal die Kunden nichts oder nur sehr wenig bezahlen wollen, aber Papa strotzt vor Optimismus. Das Geschäftsmodell bricht vollends in sich zusammen, als Mutter im Wald eine Bekannte aus dem Ort mit ihrem Pelzmantel trifft, die ihr aufgeregt von der „tollen neuen Wahrsagerin“ erzählt …

“Die Wahrsagerin“ ist eine gutgebaute Mini-Komödie, wie man sie in den 20er und 30er Jahren gern im Kino gezeigt hat: als Slapstick-Comedy mit „Dick und Doof“ etwa. Später wäre sie vielleicht ein TV-Cartoon oder eine Sitcom-Episode geworden. Sie führt den naiven Glücksglauben des Kleinbürgers vor, die Raffgier der Menschheit an sich, die Aussichtslosigkeit guter Vorsätze, die sich mit dem eigenen Charakter nicht vertragen („Wenn sich unser Erfolg erst herumgesprochen hat, verlange ich mehr Geld!“), und trotzdem ist sie mit der unverbrüchlichen Liebe zur Kreatur erzählt.

Die nur sieben Bände erlebende Albumreihe „Kauka Classics“ (Dezember 1997 bis Januar 1999) hat „Pauli“ zwei Ausgaben gewidmet, in denen einige frühere Abenteuer zu lesen sind. Ende der 70er Jahre bekam Pauli mit Helmut Murek einen neuen Zeichner. Damit verlor die Serie viel von ihrer Niedlichkeit und ihrer Komik. Im Gegenzug konnte der kleine Held es nun auch mit Monstern, Robotern oder sogar mit Mutanten zu tun bekommen. An die Stelle der charakteristischen schwebenden Schwitz-Tröpfchen, an deren Größe man den Grad von Schreck und Verunsicherung der Figuren ablesen konnte, waren strenge strahlenförmige Emotionslinien getreten.**

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* Nachzulesen in dem extralangen Abenteuer „Reise in die Vergangenheit“ (FF 5-12/1974)
** Für diesen verbreiteten grafischen Effekt gibt es keine gebräuchliche Bezeichnung. In der Fachliteratur werden diese Linien als Emanata bezeichnet, in einer vereinzelten Publikation, der Disney-Biographie  „The Animated Man“, wird von flicker marks gesprochen.

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3 Antworten zu Die schönsten Comics, die ich kenne (3): „Die Wahrsagerin“

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  3. Folien sagt:

    vielen dank für den tollen Artikel.

    Lg Anna

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