Lautlos im OP

betr.: 129. Geburtstag von Boris Karloff

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So groß und ungeheuer oben!- Vielleicht die faszinierendste Darbietung, die ich je live erleben durfte: Michel Carcan als die Kreatur und Bruce Ellison als Mr. Knight.

Das Theater ist eine flüchtige Kunst (- und in den meisten Fällen ist das auch gut so!). Nie habe ich diese Vergänglichkeit eines realen Kunstgenusses mehr bedauert als vor 27 Jahren beim Besuch eines Gastspiels des Théâtre „La Mandragore“ aus Brüssel. Unter dem Titel „L’étrange Mr. Knight“ wurde hier eine Parodie auf Boris Karloff und seine „Frankenstein“-Filme geboten, wie ich sie nicht wieder gesehen und gehört habe. Die Kollegen erlaubten sich, den Horrorklassiker um wenige Jahre vorzuverlegen, also in die Stummfilmzeit; der Darsteller des Mr. Night erinnerte mich eher an E. G. Robinson als an Boris Karloff – und trotzdem hätte die Darbietung nicht besser sitzen können.
Dekoration, Kostüm und Maske waren schwarzweiß – das Schauspiel übrigens auch -, alle Aktivitäten – auch die wilden Kampfsequenzen – erfolgten völlig lautlos, und wann immer ein Zwischentitel eingeblendet werden musste, erstarrten die Akteure mitten in der Bewegung, das Licht ging aus, und der Text wurde auf einen sonst unsichtbar-vorgespannten Gazeschleier projiziert. Danach lief der „Film“ weiter. Freilich hätte das Verblüffen selbst über solch artistische Meisterschaft kaum 70 Minuten lang getragen ohne eine solide Horrorstory, in der es brillante Gags und sogar Spezialeffekte gab – fidele Körperteile zum Beispiel, die in einem Grusellabor schonmal über den Boden krabbeln, oder Schattenspiele, wie ich sie sonst nur aus der wohlkontrollierten Werkstatt eines Hollywoodstudios kenne.
Doch Theater ist leider auch dann flüchtig, wenn es dem Kino so nahe kommt. Von diesem lichtvollen Ereignis hat (siehe oben) nichts überlebt als das Plakat und ein kurzes SR-Rundfunkinterview, in dem auch ein paar Takte der stilechten Klavierbegleitung zu hören sind.

Bruce Ellison von „La Mandragore“ im Gespräch mit Norbert Carius. Am E-Piano sitzt Marc Horuet.

Ich habe keine Show mehr angetroffen, die mit diesem Konzept gearbeitet hätte, obwohl regelmäßige gut besuchte Stummfilmaufführungen mit Live-Musik auf ein gewisses Publikumsinteresse an dieser Epoche schließen lassen. Mich animierte „L’étrange Mr. Knight“ zu einer Stummfilmparodie in einem meiner nächsten Soloprogramme (- hiervon wiederum existiert nur noch das Manuskript). Immerhin, vor allem und glücklicherweise: die Filme mit Boris Karloff gibt es noch.

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Die letzte Seite aus meiner Parodie auf die Parodie. Jede der Textpassagen in Anführungszeichen wurde auf eine große Pappe geschrieben und dem Publikum zur rechten Zeit vor die Nase gehalten.

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Eine Antwort zu Lautlos im OP

  1. Mannomann, da wäre ich verdammt gern zugegen gewesen! Sowohl beim famosen „Mr. Knight“, als auch bei deiner Parodie der Parodie. Wobei: vor allem deine Sache hätte ich verflucht gern gesehen seinerzeit. 🙂

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