Die schönsten Filme, die ich kenne (14): „Der Mann, der zweimal lebte“

Der früh gealterte Banker und Ehemann Arthur Hamilton bekommt im Gedränge des städtischen Feierabends ein Stückchen Papier mit einer Adresse in die Hand gedrückt, das ganz unmissverständlich für ihn bestimmt ist. Außerdem meldet sich ein Mann mit nächtlichen Anrufen, der glaubhaft machen kann, ein totgeglaubter alter Freund zu sein. „Ich lebe, und ich bin lebendiger als je zuvor!“ prahlt der Anrufer und lockt seinen früheren Tennispartner zu der notierten Adresse.
Hamiltons saturiertes Leben in der Vorstadt, seine Ehe mit einer braven, loyalen Gattin – die ihn zu seinem Leidwesen noch immer begehrt – drücken ihn nieder, und so treibt ihn die Neugier zum verabredeten Ort.
Auf Umwegen wird er in ein ominöses Gebäude gebracht, wo man ihm anbietet, für 30.000 Dollar seinen Tod zu inszenieren und ihm eine neue Identität zu verschaffen. – „Das ist viel Geld, aber schließlich müssen wir eine Leiche besorgen, die Ihren körperlichen Gegebenheiten weitgehend entspricht …“, erklärt man ihm. Um dem noch unentschlossenen Kunden auf die Sprünge zu helfen, erpresst man ihn mit einem Film, der ihn als Vergewaltiger zeigt. – Das Publikum hat diese Szene schon gesehen und für eine Wahnsequenz gehalten, nachdem man Mr. Hamilton einen mit Drogen versetzten Tee gereicht hat.
Endgültig überzeugt ist er allerdings erst, nachdem ihn ein leiser alter Herr – der Gründer und Leiter der makaberen Institution – in eine Art Gesprächstherapie verwickelt: Hamiltons Leben könnte in all seiner geregelten Gemütlichkeit nicht trister und frustrierender sein. Als er sich das von der Seele geredet hat, unterschreibt er. Die Transformation kann beginnen.
35 Minuten der Filmlaufzeit sind vergangen, als wir den eigentlichen Hauptdarsteller Rock Hudson zu ersten Mal zu Gesicht bekommen: die Operation ist also offensichtlich gelungen und der Patient sogar um einiges verjüngt worden.
Aber wird ihn das neue Leben, das er nun ganz nach seinen penibel protokollierten Wünschen und Launen in Kalifornien beginnen wird, auch glücklich machen?

MIX2Der Hauptdarsteller Rock Hudson (unten), auf der Flucht vor seinem Leinwand-Image, tritt bezeichnenderweise zuerst als Zeichnung auf. Später wird er sich wünschen, selbst ein bildender Künstler zu sein.

Der doppeldeutige Originaltitel des Films “Der Mann, der zweimal lebte“ lautet „Seconds“. Das passt zu den Umständen seiner Entstehung, denn er sollte dem Komödiendarsteller Rock Hudson den Ausbruch aus der Schublade des seichten Charmeurs ermöglichen, in der er sich seit seinen Erfolgen an der Seite von Doris Day gefangen sah. Und dabei machten Regisseur John Frankenheimer und sein Star keine Kompromisse: „Seconds“ ist nicht nur keine Komödie, er ist richtiggehend verstörend und unbehaglich. Die Schwarzweißkamera von James Wong Howe und die elektronische Musik von Jerry Goldsmith schaffen die Atmosphäre eines Horrorfilms und zeigen uns doch nur die Symptome der Wohlstandsgesellschaft – die ehelichen Pflichten mit der ihm fremd gewordenen Frau, das schmucke Heim in der sauberen Gegend, die Aussicht auf den Direktorenposten in der Bank – bzw. die Unternehmungen, die zu seiner Verbesserung angestellt werden: Nahaufnahmen von einer schönheitschirurgischen Operation oder ein Weinfest, in dem sich nackte Menschen wie im Rausch in zerstampften Trauben wälzen.
Mr. Hamilton (der zu Beginn mit John Randolph ideal besetzt ist) wird in seinem neuen Leben an der gleichen Fantasielosigkeit scheitern, die ihm schon sein altes unerträglich machte: er ist unfähig, zu wünschen. Und das ist längst nicht sein schlimmstes Problem …

Form und Inhalt von „Seconds“ waren Mitte der 60er Jahre in Hollywood gleichermaßen ungewohnt – in Großbritannien war man da schon weiter. Auf den Filmfestspielen in Cannes fiel das Werk durch, es floppte an der Kinokasse, und Hudsons Freunde, die ihn mehrheitlich davor gewarnt hatten, sich auf dieses Projekt einzulassen, behielten recht.
Rock Hudson landete beim Fernsehen, was seinerzeit einen Abstieg bedeutete.
Einige Fachbücher versuchten später, den Film zu rehabilitieren und dekorierten ihn nachträglich zum „Kultfilm“ hoch. Davon kann leider keine Rede sein.

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