Die schönsten Filme, die ich kenne (18): „Verräter“

Sein wir mal ehrlich: deutsche Krimiserien aus in den seligen Wirtschaftswundertagen sind der reine Trash – egal, ob für’s Kino („Edgar Wallace“) oder für’s Fernsehen (die dramaturgielosen Durbridge-Verfilmungen). Eine der wenigen Ausnahmen war „Die Gentlemen bitten zur Kasse“, bei denen sich das Prädikat „nach einer wahren Begebenheit“ einmal tatsächlich als Qualitätskriterium erwies.
Und: der ZDF-Dreiteiler „Verräter“ (1967) von Victor Canning.
In dieser figurenreichen Spionage-Geschichte spielte so ziemlich alles mit, was damals Rang und Namen hatte (und noch bekommen würde: auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes sind z.B. zwei Herren zu erleben, die bald darauf im Ermittler-Ensemble des „Kommissars“ Erik Ode aufgehen sollten).

Das Geschwisterpaar Clare und Peter Linton tritt in London mit einer sensationellen Nummer auf: Clare verfügt, wenn sie von ihrem Bruder in Hypnose versetzt wird, über das „absolute“ Gedächtnis. Alles, was sie jemals gehört und gelesen hat, kann sie in Hypnose reproduzieren, auch klassische Musik, die sie am Klavier vorträgt. Sie prägt sich die kompliziertesten Fakten und Daten ein, die sie freilich sofort wieder vergisst, wenn sie von ihrem Bruder aus der Hypnose aufgeweckt wird. Diese Fähigkeit wird den Geschwistern zum Verhängnis, als sie durch Zufall in eine Spionageaffäre hineingeraten. Im Zustand der Hypnose erhält Clare Linton von einem gejagten Agenten Informationen, die für zwei konkurrierende Geheimdienste von entscheidender Bedeutung sind. Zu ihnen gesellt sich eine dritte Gruppe, die am Verkauf des Materials verdienen möchte. Der Sieger muss nun Clare und Peter in seine Gewalt zu bringen, da die eine nur unter der Hypnose des anderen imstande ist, sich zu erinnern …

Die Musik dazu klingt weniger nach Swinging London als nach den handelsüblichen Nachdichtungen des US-amerikanischen Crime-Jazz. Ansonsten macht „Verräter“ fast alles besser als sein zeitgenössisches Genreumfeld. Die Handlung ist mitunter verwickelt, aber das Nötige kapiert man sofort – das weniger Nötige läuft auf jener von Hitchcock definierten MacGuffin-Ebene ab, die nur die handelnden Personen, nicht aber den Zuschauer zu interessieren braucht. Die Atmosphäre stimmt, etwa in den Backstage-Szenen, die das wenig glamouröse Wirken zweier Cabaret-Künstler zeigen. Die Dialoge sind ebenso lebendig wie die Figuren, bei denen nicht jeder Bösewicht auch noch widerlich aussehen und dauernd böse kucken muss. Auch kleinste Nebenfiguren sind liebevoll besetzt und inszeniert. Es gibt feine Abstufungen im Reich der verkrachten Existenzen, die leise unter ihrer Fehlbarkeit leiden, von der Erzählung aber nicht verraten werden, und demgegenüber hadernde oder knapp zuspätkommende Helden. Da es sich um eine TV-Produktion in Schwarzweiß handelt, erlaubte man sich die eine oder andere Fototapete vor dem Fenster, aber insgesamt wird erfreulich oft am (Londoner) Originalschauplatz gedreht – auch, wenn nur jemand über die Straße geht – oder doch zumindest in echten Kneipen, Hotels, Blumenläden statt in den üblichen Pappkulissen. (So wurde es auch bei den besagten „Gentlemen“ gehalten.) Dennoch ist die Produktion frei von jenem pauschaltouristischen Kleister, der so viele ZDF-Mehrteiler von Herbert Reinecker zusammenhält.
Weil das Buch nicht von einem der üblichen Verdächtigen stammt, Francis Durbridge oder eben Reinecker, und auch keiner Serie angehört, fehlt „Verräter“ bisher in allen „TV-Nostalgie“ und „Kultkrimi“-Wiederbelebungsprogrammen.
Das lange Warten wird sich gelohnt haben.

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