Die Melancholie der Fülle

betr.: 50. Geburtstag des Carlsen Verlags und die Nr. 66 der „Reddition“ zum Thema / Druckverfahren im Comic

In „Ein halbes Jahrhundert Carlsen Comics“, der aktuellen Ausgabe der „Reddition“, wird die Geschichte des dänisch-hamburgischen Verlagshauses in gewohnt gründlicher und umsichtiger Weise erzählt und abgebildet. Der heutige kleine Artikel versteht sich als Nachreichung zweier Aspekte, die ich darin dennoch vermisst habe.
Zwei Schlagworte kommen uns schneller als andere zu Bewusstsein, wenn wir den Namen Carlsen im Munde führen, der die ganz große Knete in seiner Eigenschaft als Kinderbuchverlag und mit „Harry Potter“ gemacht hat, der aber selbstverständlich und zuallererst einer unserer wichtigsten Comicverlage ist. Es sind die Begriffe „frankobelgisch“ und „Album“.

Carlsen nimmt für sich in Anspruch – und die „Reddition“ sekundiert – der einzig nennenswerte erschöpfliche Lieferant frankobelgischer Bildergeschichten zu sein. Früher und überaus umfassend spülte allerdings Rolf Kauka mit seinen “Fix und Foxi“-Publikationen diese Comics in unsere Kinderstuben.* Abgesehen von einem boshaften Seitenhieb auf einen Kauka-Übersetzer** im Kapitel „Die ‚Ära Knigge’“ wird dieser Umstand ausgelassen, so gut es geht. Es gab in diesen Heftchen nicht nur die ganz großen Knüller zu lesen, sondern zusätzlich eine Unzahl leiser, epigonaler und vergessener Serien, aber ich bin glücklich, sie gelesen zu haben. Meines persönlichen Lieblings Paul Deliège*** hat sich Carlsen leider bis heute nicht angenommen – ich hoffe auf eine Wiederentdeckung dieses 2005 verstorbenen Genies.

Das bringt uns zum zweiten Schlagwort. Mit kaufmännischem Wagemut und unter großen Opfern hat Carlsen das Albumformat für Comics salonfähig gemacht und damit der „neunten Kunst“ vom Kiosk den Weg in die Buchhandlungen geebnet. Das war nicht nur aus Prestigegründen wichtig, es machte aus reinen Periodika, die man nach kurzer Zeit nie wiedersieht, Produkte, die sich sogar nachbestellen und im Feuilleton besprechen lassen. Das ist eine editorische Leistung, die neben Buchhändlern auch tausende Comicfans bei der Regalbeschaffung inspiriert hat.
Der zweite Teil der Wahrheit ist, dass Comics im Heftchenformat einfach mehr Freude machen. Der frühere Cheflektor des Verlages Andreas C. Knigge meinte einmal beiseite, es sei schon richtig, dass eine „Marsupilami“-Geschichte als Album durchaus viel von ihrer Unschuld verlöre. Das ist zutreffend, klingt aber eher wie ein Bonmot aus Matthias Forsters Pressestelle.
Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass die Farben in den Alben einfach nicht gescheit aussehen. Das liegt zum einen am matten Papier (was sich jederzeit verbessern ließe) zum anderen am Druckverfahren. Comichefte wurden in der guten alten Zeit wegen ihrer höheren Auflage im Tiefdruck hergestellt. Das Tiefdruckverfahren – das wir aus Nachrichtenmagazinen, Trockenhauben- und TV-Zeitschriften kennen –hat den Vorzug eines besonders feinen Rasters, der überdies durch den technischen Mangel des Versickerns im hier üblichen Papier völlig unsichtbar wird.
Dennoch müssten Albumseiten nicht ganz so fahl und entsättigt daherkommen wie das jahrzehnten üblich war, und das gilt nicht nur für Carlsen: die „Barks Library“ des Ehapa Verlags war eine einzige Nebelbank ängstlich-fader Pastelltöne.
Ich habe beim Durchblättern solcher Produkte immer das Gefühl, allzu bunt und lustig darf es dann doch nicht zugehen – wir sind ja schließlich nicht am Kiosk!
In der „Reddition“ ist übrigens alles so wie’s sein soll! – Vergleichen Sie mal die Abbildung auf der aktuellen Seite 9 unten mit der Seite 62 von „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“.

Auf weitere 50 Jahre!

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* Siehe dazu die „Reddition“ Nr. 56
** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2015/01/10/rolf-kaukas-suendenfall/
*** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2017/01/16/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-11-die-gifticks/

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2 Antworten zu Die Melancholie der Fülle

  1. Daß der Tiefdruck den Vorzug eines besonders feinen Rasters genießt, ist sachlich nicht richtig. Er unterscheidet sich vor allem durch das grundlegend andere Prinzip der Portionierung von Druckfarbe: Im Hoch- und Offsetdruck durch die Größe (und im frenquenzmodulierten Raster) die Anzahl der Rasterpunkte, im Tiefdruck durch die mittels Tiefe der Ätzung aufgenommene und anschließend auf das Papier abgebene Farbe. Die Näpfe, die die Farbe aufnehmen, sind deutlich größer als im Offsetdruck, weshalb im Tiefdruck zwar die Farben schöner ausfallen als in den beiden anderen Verfahren, dafür aber die Linien schlechter dargestellt werden und oft sogar wegbrechen.

    • montyarnold sagt:

      Lieber Herr Ihme –
      vielen Dank für Ihre Richtigstellung. Ich kann mich von der größeren Freude dennoch nicht freimachen, die mir dieses Verfahren stets bereitet hat – gerade im Comic, aber auch bei TV-Zeitschriften, die ja früher voller recht großer Abbildungen waren. Mein Berufsschullehrer sagte immer: „Ist eine schmuddelige Technik, aber hübsch anzuschauen.“ Dieser gefühlsbetonten Bewertung möchte ich mich anschließen.
      Herzliche Grüße
      M. A.

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