Schädeldecke hoch!

betr.: 1. Band der Deluxe-Gesamtausgabe von „Locke & Key“ (Panini) – erscheint am 25.7.2017

Die drei Kinder der Familie Locke, die durch einen Überfall zweier jugendlicher Irrer ihren Vater verloren haben, versuchen einen Neuanfang. Keyhouse, das einsam gelegene Anwesen ihres Onkels Duncan im Küstenort Lovecraft, wird ihr neues Heim. Während sie versuchen, die Tragödie zu verarbeiten, entdeckt der kleine Bode einen Schlüssel, der verführerische Kräfte besitzt: er erlaubt, einzelne Kenntnisse und Erinnerungen aus dem Hirn zu entfernen. Das klingt wie geschaffen für eine solche Lebenslage, aber den drei Geschwistern würde es übel ergehen, wenn Dodge, der Erzfeind der Familie, dieses Wunderding in die Finger bekäme. Auch sonst erweist sich die neue Behausung als schlechte Wahl: rachsüchtige Geister und das ultimative Böse lauern im Gebälk …

Locke & Key_FRONT
Man sollte sich vom Cover der Neuausgabe nicht täuschen lassen: die Zeichnungen von Gabriel Rodriguez sehen viel besser aus als dieses im Nazarener-Stil gehaltene Titelbild.

Man braucht ein paar Anläufe, bis man die verzwirbelten Rückblenden entknotet und den Plot bis hierhin verstanden hat, aber es lohnt sich. „Locke & Key“, eine Comic-Buchreihe, die nun als Deluxe-Gesamtausgabe aufgelegt wird, ist ein solider Grusel-Thriller und hat sogar Humor. Band 1 enthält die früheren Volumes 1 und 2, „Willkommen in Lovecraft“ und „Psychospiele“.
Autor Joe Hill begeht die Kühnheit, seinem berühmten Vater Stephen King auf dessen ureigenstem Gebiet nachzueifern. Das gelingt nicht völlig: die Geschichte sitzt so voller wohlbekannter Motive, Klischees und Topoi, dass ein Völlegefühl und reichlich Verwirrung entsteht (siehe oben). Ich persönlich hätte am liebsten auf die Handlungslinie um den entlaufenen Psychopathen verzichtet – diese ewige Serienmörderei hängt mir seit Jahren zum Hals raus – mochte aber das magische Element sehr gerne: den kleinen Jungen, dem die doofen Erwachsenen seine Entdeckung zunächst nicht glauben wollen.
Nach der Lektüre war ich entschlossen, mir die bereits als Softcover vorliegenden restlichen Bände 4 bis 6 zuzulegen, doch ich wurde gewarnt: Chaos und Klischeefülle nähmen immer mehr zu.
Wie dem auch sei: „der besprochene Band“ mit den ersten Kapiteln macht Spaß, was auch an den gewohnt hervorragenden Zeichnungen von Gabriel Rodriguez liegt.

„Locke & Key“ hätte mir noch größeres Vergnügen bereitet, wenn das alles nicht so prätentiös eingewickelt wäre. Die Erzählweise ist nicht nur filmisch, sie ist TV-seriell: das Imitieren von Ab- und Wiederaufblenden mitten in einer dramatischen Situation – wie es in US-Serien zum Werbeblock geschieht – wirkt arg pennälerhaft. Ebenso unnütz sind die Kapitelanfänge, wo pompöse Vorspann-artige Slash-Pages den Lesefluss ausbremsen. Schon die Umschlaggestaltung und das selbstverliebte Vorwort lassen diesbezüglich das Schlimmste befürchten.
Ich freue mich auf die nächste Gesamtausgabe in einigen Jahren, die ohne all diesen Verpackungskitsch und ohne das dicke Glanzpapier sogar zwischen zwei Buchdeckel passen würde.

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