Die schönsten Comics, die ich kenne (17): „Der Eispeter“

„Der Eispeter“ von Wilhelm Busch, erschienen 1864 in den „Bilderpossen“, nachgedruckt u.a. im Band I der „Sämtlichen Werke“ (zweibändig): „Und die Moral von der Geschicht“, C. Bertelsmann (1959)

Die Bildergeschichten des 1908 verstorbenen Wilhelm Busch sind eigentlich noch keine Comics. Es fehlen die Bildumrandungen und die Sprechblasen, aber sonst ist schon alles an seinem Platz, von den Speedlines bis hin zu (sehr nostalgischen) Onomatopöien wie „Schwuppdiwupp“, „Rumms!“ oder „Klickeradomms!“. Da Busch als direkter Vorläufer des sogleich nach ihm beginnenden Comic-Zeitalters gilt und überdies auch der Comic-Klassiker „Prinz Eisenherz“ keine Sprechblasen hat, will ich ihn in diese Reihe aufnehmen.

Bei Wilhelm Busch ging es ständig um die letzen Dinge – lustvoll gebrochen durch seine urkomischen gereimten Bildunterschriften. Als nimmermüder Kritiker des menschlichen Zusammenlebens mutete er uns Dinge wie Kannibalismus, Kindermord und Verbrennen bei lebendigem Leibe zu. Er ließ eine „tapfere Müllerstochter“ mehrere Einbrecher phantasievoll niedermetzeln und – wie man sich erinnert – seine populärsten Helden „Max und Moritz“ in einer Getreidemühle zerkleinern und den Gänsen zum Fraß vorwerfen. Tiere wurden nicht etwa nur von Menschen gequält, sie quälten sich sogar gegenseitig, und auch die Umgangsformen in Ehe und Verwandtschaft blieben ungeschönt. Wer all dem lebendig entging, der konnte noch von der Tücke des Objekts dahingerafft und umgehend in der Hölle abgeliefert werden.
Nichts von alledem hat mein unterhaltungssüchtiges Kinderherz so beklommen wie „Der Eispeter“, den ein eher absurdes Schicksal ereilt.

Anno 12 schlägt Peter die sorgenvolle Mahnung seiner Eltern in den Wind und geht Schlittschuhlaufen. Den herzlosen Grobian rührt das arme Kaninchen, dessen Ohren am Boden festgefroren sind, ebensowenig wie der Umstand, dass die Krähen vor Kälte tot vom Baum fallen.
Nun spaziert der missratene Jugendliche nicht etwa durch ein Winter-Wonderland, sondern durch ein dreckiges Endzeit-Szenario. Der Teich, an dessen Ufern er sich die Schlittschuhe anschnallt, ist keine lichte Waldteufel-Idylle sondern die buchstäbliche Nacht des Lebens.
Prompt wird Peter durch ein Loch in der Eisdecke ins Wasser fallen, und als er herausklettert und weiter seine Bahnen zieht, werden sich Eiszapfen bilden – erst ein paar kleine und schließlich immer mehr und immer größere.
Er wird schließlich erstarren und zu einem scharfkantigen Mahmal mutieren.
Irgendwann machen sich seine Angehörigen Sorgen und ziehen hinaus, ihn zu suchen. Sie finden ihn und tragen ihn nach Haus, wo sie ihn am Kamin wieder auftauen. Das Ergebnis wird ihnen nicht gefallen …

Nachdem ich vorher schon erfahren hatte, wie viel Heiterkeit mir die schönen Künste verschaffen können, bereitete mir „Der Eispeter“ meinen ersten echten Wachtraum-Horror, einen im Wortsinne ungeahnten Schrecken. Er hat mein Kopfkino angeworfen, hat mich gelehrt, was Kreativität zu leisten vermag. (Wilhelm Hauff sollte mir mit seinen Kunstmärchen bald darauf die nächste Gänsehaut bereiten.)
Vergleichbar der ersten großen Liebe – aber weitaus mehr noch als die – hat sich „Der Eispeter“ in mein Herz eingebrannt und mein Misstrauen vor moralisch verbrämten Bevormundungen aufgeschreckt.

Ich habe noch eine Bitte: verwechseln Sie – was mitunter getan wird – die Arbeiten von Wilhelm Busch nicht mit dem „Struwwelpeter“. In diesem ironiefreien aufklärungspädagogischen Bilderbuch wird nämlich vollkommen sinnlos, gewissermaßen umsonst gestorben.

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