betr.: Europa / Ausländer-Klischees / „Autor der totalen Schlaffheit“, SPIEGEL-Gespräch mit Michel Houellebecq
Vorurteile sind eine spannende Sache, solange es nicht die eigenen sind.
Wie wir von unseren französischen Nachbarn gesehen werden (und wie sie sich selbst sehen), wurde diese Woche von Michel Houellebecq im SPIEGEL dargelegt: „In Frankreich redet man über Deutschland mehr als über alle anderen europäischen Länder zusammen. Das ist verblüffend. Doch ich glaube, die Deutschen kennen die Franzosen besser als umgekehrt, schon weil sie öfter nach Frankreich kommen als die Franzosen nach Deutschland. (…) das geht viel weiter als der gewöhnliche Tourismus. Viele Deutsche kaufen sich eine Wohnung oder ein Haus oder lassen sich in Frankreich nieder. Die Franzosen dagegen wissen wenig von den Deutschen. Sie sind von ihnen beeindruckt, aber sie beneiden sie nicht. Deshalb ist die Beziehung ziemlich gut, obwohl der Vergleich der beiden Länder zum Nachteil Frankreichs ausfällt. Die übertriebene Selbstentwertung der Franzosen bringt sie nicht dazu, die Deutschen zu hassen, sondern sich selbst zu verachten. (…) Die Deutschen sind einfach bei Weitem besser organisiert, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. (…) Die Deutschen planen rational, die Franzosen lassen es bis zum Schluss darauf ankommen, dass es schon gut gehen wird. Die lateinische Art eben. Ermüdend! (…) ich habe nicht den Eindruck, dass die Franzosen die Deutschen nicht lieben. Sie lieben sie jedenfalls mehr als die Engländer.“
Wenn wir Patrick Bade, dem englischen Kunsthistoriker und Autor des Buches „Music Wars“ glauben dürfen, stimmt das auch in umgekehrter Blickrichtung: „Die Briten sind unglaubliche Inselbewohner. Auf einer bestimmten Ebene mögen sie überhaupt keine Ausländer und im Speziellen nicht ihre nahen Nachbarn. Sie mögen die Franzosen sicherlich noch weniger als die Deutschen, wenn auch nicht viel weniger. Ich bin neulich von einem älteren, chauvinistischen Herrn, den ich in Paris in der Oper traf, angesprochen worden: Frankreich sei zu bedauern, weil es von Schwarzen, Arabern und Asiaten überrannt worden sei. Er fragte, wie ist das in England? Was meinen die dazu? Und ich versicherte ihm, dass die Engländer alle Ausländer verabscheuen, die Franzosen eingeschlossen! Alle Franzosen. Er war nicht erfreut, das zu hören.“
Neben der Geografie ist es vor allem die Geschichte, die die Briten nicht ruhen lässt. „Die Briten sind vom Zweiten Weltkrieg besessen“, erklärt Mr. Bade, „oft in einer ungesunden Weise, denn es war ihr Moment des Ruhmes, und darüber kommen sie nicht hinweg. Es ist wichtig, sich an den Zweiten Weltkrieg zu erinnern, aber in Großbritannien wird sich eben manchmal nicht zuträglich daran erinnert. Es unterfüttert ein unrealistisches Image.“
Hat sich denn in Europa niemand einfach lieb?
Noch einmal Houellebecq über die Deutschen, die ja bekanntlich die meisten Deutschland-Klischees nicht schätzen: „Sie wären gern Italiener! Die Italiener haben jedenfalls keine Schwierigkeiten mit ihren Klischees, sie lieben sie!“
Das tun die Bayern auch, aber die fühlen sich Italien ja ohnehin sehr verbunden. Wenn man sie fragt, was Ihnen an München so gut gefällt, antworten sie als Erstes: „Man ist so schnell in Italien!“