Die wiedergefundene Textstelle: Im Kokon des Diktators

betr: 42. Todestag von Ernst Hanfstaengl

Nach der Flut (para)dokumentarischer Publikationen zum Dritten Reich, die ab den frühen 90er Jahren über uns hereinbrach, hatte so mancher für 1000 Jahre genug von diesem Thema, zumal auch als seriös geltende Oldies – wie die einschlägigen Arbeiten von Joachim Fest – sich im Nachhinein als angreifbar herausgestellt haben. Eines von drei Büchern, die diese Inflation in meinem Regal überlebt haben, sind die Lebenserinnerungen von Ernst Hanfstaengl, einer gleichwohl etwas halbseidenen Figur. „Putzi“ Hanfstaengl ist einer jener deutschen Bildungsbürger, die trotz ihres humanistischen Gepräges auf den aufstrebenden Diktator hereingefallen sind. Der Geschäftsmann und Kunsthändler führte den gescheiterten Postkartenmaler aus Braunau in die feine Münchner Gesellschaft ein und diente ihm später als Auslandspressechef, eher er in Ungnade fiel und in die USA flüchten musste. Dort wurde er zum Berater seines ehemaligen Kommilitonen Franklin D. Roosevelt. Diesem machte er u. a. den skurrilen Vorschlag, einen Hitler-Imitator im Rundfunk einzusetzen.

Hanfstaengl ist ein vor Eitelkeit platzender, aber ungemein amüsanter Zeitzeuge. Sein Name war mir immer wieder in Fußnoten begegnet, und so freute ich mich einst, seine Autobiographie „Zwischen Weißem und Braunem Haus“* auf einem Münchner Wohnstraßenflohmarkt zu ergattern.
Bei der Lektüre wundert man sich mal wieder, wie wenig sich rein gesellschaftlich/zwischenmenschlich geändert hat seit jenen Zeiten, auf die der heutige Mensch mit dünkelhaftem Schauder herunterblickt („Wie kann ein Volk nur so doof sein?“ etc.). Die Unterstützer Hitlers lassen sich – jenseits reiner Speichelleckerei – in zwei Gruppen aufteilen: jene, die sein agitatorisches Geschick für sich nutzen wollten und ihn nach der Machtergreifung glaubten rasch entsorgen zu können, und jene, die dessen Grimm über den Versailler Vertrag nachvollzogen und hofften, er würde in der Regierungsverantwortung ansonsten noch zur Vernunft kommen. – Wie wir wissen, haben sich beide grandios geirrt.
Man muss dem Autor zugestehen, dass er sich dazu bekennt, zur zweiteren Gruppe gehört zu haben.
Sein Sohn Egon hat ihn dennoch nicht so einfach davonkommen lassen. Allerspätestens beim Röhm-Putsch, kritisierte er seinen Vater, hätte er bemerken müssen, dass „die Demokratie endgültig im Kübel“ sei.

Als Quellenwerk zur Weimarer Republik und der frühen NS-Zeit ist das Buch deshalb nicht weniger lesenswert. Besonders die Schilderung des 8. und 9. November 1923 (Kapitel 29 und die folgenden) ist mir in Erinnerung geblieben. Sämtliche mittelbar oder unmittelbar Beteiligten der Ereignisse sind zuallererst schrecklich überfordert und verhalten sich wie auf einer etwas über die Ufer getretenen Vereinssitzung. Das alles hat die absurde Komik von Horváths Volksstück „Italienische Nacht“, in der der Vorabend des Dritten Reichs in einen entlarvenden Komödienstadl ausartet.
Gewiss – auch dass ist die bequeme Perspektive eines Heutigen.

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* „Zwischen Weißem und Braunem Haus. Memoiren eines politischen Außenseiters“, Piper, München 1970, Neuausgabe als: „15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunem Haus“, München 1980.

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