Der strenge Duft der Kindheit

betr.: 43. Todestag von Jackie Coogan / Charlie Chaplin dreht „The Kid“

Mit Charlie Chaplins Film „The Kid“ begann 1921 in mehrfacher Hinsicht ein neues Zeitalter. Zunächst einmal adelte er die Slapstick-Comedy, die bislang nur als Zweiakter (also etwa in einer Länge von 20 Minuten) als Vorprogramm stattgefunden hatte mit einer fünfaktigen Länge zur Hauptattraktion. Er kombinierte seine Späße mit einer dramatischen Handlung, und etablierte mit dem vierjährigen Jackie Coogan den ersten Kinderstar Hollywoods.
Coogan erinnert sich an seinen frühen Förderer: „Es gab niemanden, der ihn angetrieben hätte. Er war sein eigener Boss, nahm das wertvollste, was es auf der Welt gibt – Zeit – und verwandte es mit verschwenderischer Großzügigkeit auf den Film. Wie jeder weiß, trug Charlie einen großen Schnurrbart, den er mit Mastix-Gummi anklebte. Dieser Klebstoff strömte einen ziemlich abstoßenden Geruch aus. Wir saßen viel in unseren Kostümen herum, während er nachdachte. Wenn ihm dann plötzlich eine Idee kam, verschwand er, um sein Make-Up aufzulegen und den Bart anzukleben. Der Geruch des frischen Klebers war für mich immer das Signal, dass es Zeit war, wieder an die Arbeit zu gehen.“

Die berühmteste Szene des Films ist jene, in der die Beamten des Waisenhauses den Tramp überwältigen und ihm das Kind wegnehmen, das er seit dessen Säuglingstagen versorgt.
„Er erklärte mir, was ich tun musste, und auch, warum er wollte, dass ich es tat. Er sagte: ‚Jackie, dieser kleine Junge wird von seinem Freund getrennt …‘. Während er mir dieses Drama in lebhaften Farben beschrieb, sah ich es vor meinem geistigen Auge ablaufen. Er war ein hervorragender Geschichtenerzähler und gab dem Ganzen eine sehr intensive persönliche Note. Als er dann ‚Kamera!‘ und ‚Action!‘ sagte und der Beamte der Fürsorge mich auf diesen Lastwagen warf, war bei mir der Damm gebrochen. Ich fing an wie am Spieß zu brüllen und war am Boden zerstört. Ich schrie: ‚Ich will meinen Daddy!‘ und war völlig hysterisch… – Wenn man einen hysterischen Anfall darstellen soll, steigert man sich am besten richtig hinein, dann wirkt es auch echt.
Und dann lässt der Fahrer seinen Ford an und fährt mit mir ins Waisenhaus, und Chaplin folgt uns über die Dächer. Das war eine gute Idee, weil es eine völlig neue Art der Verfolgungsjagd darstellte. Die Verfolgten sitzen im Auto, und der arme Verfolger läuft zu Fuß über die Dächer.“
Nachdem er dort oben einige Abkürzungen genommen hat, springt Chaplin auf die Ladefläche des Wagens und wirft den Beamten auf die Straße, während der ahnungslose Chauffeur die Fahrt fortsetzt. Erst als er anhält, bemerkt er, dass er den Tramp mitbefördert hat.
„Die Szene erreicht dann ihren emotionalen Höhepunkt, weil wir beide weinen. Das waren echte Tränen. Da sieht man dann diesen großen Clown, den die Leute immer nur als spitzbübischen Tramp gekannt haben, und er weint wirklich. Das war für die meisten ein ziemlicher Schock, aber dabei konnte er es natürlich nicht belassen.“
In einer Halbstarken-Pantomime verjagt Chaplin den Fahrer, nimmt den Jungen bei der Hand und geht mit ihm nach Hause: der Slapstick hat gesiegt.
„Und das war das Ende: er war von einer herzzerreißenden Situation zu einer Auflösung übergegangen, bei sich das Publikum vor Lachen kugelte. Das war der Gipfel der Befreiung und der Erleichterung.“

 

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