Eine Frage der Geschwindigkeit
Die Radio-Comedy hat zwei Konstruktionsmöglichkeiten, über die sich das Publikum von Anfang an im Klaren sein will: entweder gibt es nur eine einzige alberne Situation, in der Klischees verhöhnt werden (Länge etwa 5 Minuten oder weniger)*, also einen Sketch, oder man erzählt eine komplette Geschichte en miniature (idealerweise nicht länger als 12 Minuten). In eine Radio-Krimi-Comedy muss also ein Fall – Rätsel, Ermittlung und Auflösung – von vorne bis hinten hineinpassen. Ein solches Format ist „Hummel Hummel Mord Mord“, das am 8. April im Internet-Angebot von Radio Hamburg gestartet wurde.**
Auch wenn hier inhaltlich blühender Unfug getrieben wird, muss die Handlung eine gewisse innere Logik haben, damit die Sache als Serie funktioniert (wobei ein surreales Element pro Folge erlaubt ist – dazu später mehr). Das stellt mich als Autor vor ein Problem: 12 Minuten sind verdammt wenig für drei Akte.
Ein Beispiel, das mir in diesem Zusammenhang sehr imponierte, war ein Mickymaus-Abenteuer in einem „Lustigen Taschenbuch“, das mir meine Mutter schenkte, um mich von einem Arztbesuch abzulenken. „Stadt in Hypnose“ hat für ein abendfüllendes Schauerstück um einen Superbösewicht nur 30 Taschenbuchseiten zur Verfügung.*** Die Erzähler entschlossen sich, den zweiten Akt wegzulassen (Micky ermittelt den Ort des Hauptquartieres nicht, sondern geht einfach hin) und dafür den ersten Akt besonders ausführlich zu gestalten (mysteriöse Vorgänge in Entenhausen). Es hat funktioniert: bei meiner ersten Lektüre fiel mir dieser Trick gar nicht auf!
Dieser Trick würde in einer dramatischen Umsetzung nicht funktionieren. Die Ironisierung des Comics (zumal in einem ausdrücklich „lustigen“ Taschenbuch) weckt unsere Bereitschaft, uns auf die knappere Schilderung einzulassen bzw. sie gar nicht unbedingt zu bemerken.
Ich muss an einen Vortrag denken, in dem der Filmkomponist Bruce Broughton erklärte, worin die wesentlichen Unterschiede zwischen der Herstellung eines Soundtracks für einen Real- und für einen Zeichentrickfilm bestehen. Er bat uns, wir mögen uns einen Mann in einem Zimmer vorstellen, der vor dem Haus ein Geräusch hört. Nun geht er schnell zum Fenster, um nachzusehen, Schritt für Schritt. Wäre dieser Mann Schweinchen Dick, würde er nur einen Sekundenbruchteil brauchen, um ans Fenster zu huschen – und die musikalische Untermalung müsste dem entsprechen. Dieser immense Geschwindigkeitsunterschied dürfte dem Verhältnis entsprechen, das wir bei der Übertragung eines „realistischen“ Sujets wie eines Krimis in die komische (die Comic-)Variante beachten müssen.
Dummerweise können wir bei wir bei dieser Übertragung zwar das Tempo anziehen (schneller zum Fenster laufen), müssen uns aber an die 3aktige Struktur halten oder diese wenigstens vortäuschen, wenn unsere Arbeit nicht in die völlige Beliebigkeit abrutschen soll.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vicit“
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* Beispiele hierfür sind die Sketche von Heino Jaeger oder der SWF3-Klassiker „Der Höllentrip bei Feinkost Zipp“. Eine Krimi-Variante ist „Ein Fall für Lt. Karasek“, zu finden ab https://blog.montyarnold.com/2014/10/22/krimi-der-woche-ein-fall-fuer-lt-karasek-4/
** http://www.radiohamburg.de/Programm/Aktionen/2018/Maerz/Neu-Radio-Hamburg-Hoerspielkrimi-Hummel-Hummel-Mord-Mord
*** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2018/02/06/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-20-stadt-in-hypnose/