Schirme aufspannen!

Kürzlich ermunterte mich ein Freund, ihn zu einem Stummfilmabend mit Live-Musik zu begleiten. Gegeben wurden Laurel und Hardy, der aufspielende Pianist mit dem melodischen Adelstitel wurde mir als große Nummer dieser kleinen, feinen Nischenkunst angekündigt.
Dass auf dem Begrüßungsdia im Saal der weiter unten stehende Name der Komiker falsch geschrieben war, schreckte in mir ein ironisches Misstrauen auf. Was dann tatsächlich zur Aufführung kam, übertraf meine grausigsten Befürchtungen.
Die Vorstellung begann. Doch ehe der erste Film auf der Leinwand zu sehen war, musste das Publikum noch etwa dreißig Minuten warten. Was geschah in dieser Zeit? Erst einmal übertrug der hemdsärmelige Blaublüter ausgiebig seine klavierspielenden Hände auf die Leinwand – das Spiel war solide, aber keineswegs virtuos und als Solo dieser Länge kein angemessener Bestandteil eines solchen Programms. Danach erging er sich in einer selbstverliebten Einführung und der Bewerbung seiner Berliner Auftritte. Er präsentierte einen „Vorfilm genau so wie früher“, obwohl es ja „früher“ solche Vorfilme eigentlich gar nicht gegeben habe (einen kurzen Clip aus einem Film mit Harold Lloyd) und eine historische Reklame.
Dann begann das Kernprogramm: vier stumme Zweiakter mit „Stan und Olli“. Im Verlauf des Abends häufte der „Stummfilmpianist“ Grauen auf Grauen. Die Filme umrahmte er mit frei erfundenem Blödsinn zur Filmgeschichte im Allgemeinen – „Stummfilme waren übrigens in Farbe!“ meinte er. „Dass wir sie heute nur in Schwarzweiß kennen, liegt daran, dass sie nicht korrekt kopiert worden sind!“ (wobei er gar nicht erst zwischen tinted, viragiert und Zweifarben-Technicolor unterschied) – und zu Laurel und Hardy im Besonderen – „Die beiden haben ja regelmäßig auch Horrorfilme gedreht!“ oder „’We Faw Down‘ ist der einzige ihrer Filme, der eine richtige Handlung hat!“ (Kreisch!) oder „Die beiden haben so oft Publikumsvorführungen gemacht und nach und nach alle Stellen weggeschnitten wo keiner lachte, bis die Filme nur noch zehn Minuten hatten. Denn so lang waren solche Komödien damals!“ (Auf-hö-ren!!!)

Vor und nach jedem Film prangte eine Anzeige, auf der sich der „Künstler“ als „Komponist“, „Arrangeur“ und „Interpret“ in Erinnerung rief. Seinen Namen lasen wir insgesamt dreimal so häufig wie den der beiden Filmhelden. Von „Komposition“ konnte indes ebensowenig die Rede sein (die Begleitung war offensichtlich vollständig improvisiert: minutenlanger Boogie-Woogie, Warteschleifen aus wilden Appoggiaturen etc. – und das alles laut und aggressiv) wie von einer „Interpretation“ der gezeigten Filme (die Musik bezog sich allenfalls zufällig auf das, was auf der Leinwand passierte).

Das Publikum verhielt sich typisch hanseatisch: applaudierte brav, belachte höflich geübte Mehrzeiler wie „… Weil ich kein Vöglein bin und nur einen Flügel hab‘, spiel ich Klavier“, amüsierte sich aber (gemessen daran, welche Lachstürme diese Filme bei vergleichbaren Veranstaltungen auslösen) nur verhalten über das eigentliche Programm.

In der Pause wollte mein Begleiter wissen, wie es mir denn gefiele. Ich hoffte vergebens, er sei wenigstens annähernd so entsetzt und verärgert wie ich. Er versuchte, mein Toben mit der Sichtweise zu besänftigen, es sei doch immerhin lobenswert, dass der „Künstler“ sich für den Stummfilm als gängiges Unterhaltungsangebot starkmache. Diese Art von Mitleid hat das Genre nicht verdient. Ich sehe mich weiterhin außerstande, es als karitativen Akt zu betrachten, wenn sich ein Hobbymusiker auf den Schultern verdienter Entertainer auf Eintritt einen runterholt.

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