Mumienhorror in Washington

betr.:  Die sechste Staffel von „House Of Cards“ liegt auf DVD vor.

Es wird zur Zeit gern vergessen, aber die plötzliche Eliminierung von Hauptdarsteller Kevin Spacey aus der somit finalen Staffel von „House Of Cards“ ist nicht der erste derartige Fall. Schon unzählige Male mussten Drehbuchautoren auf plötzlich verstorbene oder wegen zu hoher Gagenforderungen geschasste Darsteller reagieren. Auch (Sex-)Skandale hat es in diesem Zusammenhang schon zuvor gegeben (den ersten 1921). Anfang der 90er Jahre erlitten die Figuren einer sehr beliebten Serie plötzlich eine Vielzahl schrecklicher Unfälle, und alles war vorbei. (Der Produzent rächte sich damit an seinen geldgierigen Schauspielern.) Das war irritierend, hatte aber unbestreitbar Unterhaltungswert.

„House Of Cards“ erspart uns solche Kalamitäten: müder, fahriger und uninspirierter habe ich noch nie eine Produktion auf den personellen Einbruch der Wirklichkeit regieren sehen. Es gibt nur noch die berüchtigten „Bilder von sprechenden Menschen“, vor denen Hitchcock immer gewarnt hat:

perfekt gestylte Langweiler in steril-überladenen Dekos, die immerfort hohle Drohungen ausstoßen und sich gegenseitig ihres abgrundtiefen Hasses versichern. Da wir auf Kevin Spaceys reale Verrufenheit verzichten müssen, lugt Robin Wright umso finsterer hinter ihrer Damen-Hitlerfrisur hervor. Doch obwohl sie zur Stabheuschrecke abgemagert und inzwischen so oft geliftet ist, dass sie sich am Rande der Katalepsie bewegt – obwohl sie also meiner optischen Vorstellung von einem verkommenen Subjekt durchaus nahekommt – kann sie doch nur aussprechen, was das Drehbuch ihr vorgibt. So sagt sie uns zum Beispiel allen Ernstes ins Gesicht (denn Spaceys kindische Masche mit dem „Aufheben der Vierten Wand“ wird nun von ihr fortgeführt): „Was er Ihnen vor Jahren über Schmerz erzählt hat, stimmt nicht! Es gäbe zwei Arten: den, der einen stärkt, und den sinnlosen. Es gibt nur eine Art: Schmerz ist Schmerz!“
Auf diesem Niveau geht es weiter. Einer der Höhepunkte ist ein Vater-Sohn-Konflikt, der folgendermaßen abläuft: „Dieses Handtuch ist klüger als du!“ schimpft der Vater. „Dieses Fenster ist klüger als du!“ fährt er fort. Es folgen noch „dieser Teppich“, „Seth“ (ein Mitarbeiter) und „Der Schweiß in meinen Augenbrauen ist klüger als du! Obwohl mein Schweiß zumindest gewusst hätte, dass er ohne mein Einverständnis nicht einfach die Präsidentin besuchen kann!“
Das Geschwätz in diesem überproduzierten Kammerspiel hört niemals auf, und doch scheint es kein Drehbuch zu geben, so zufällig sind die Floskeln verteilt. Die Schauspieler schleppen ihre Rollen mit sich herum wie eine Last und hoffen vergebens, man würde die gequälte Leere in ihren Gesichtern den Figuren zuschreiben – die es ja auch nicht leicht haben.

Wie man sich erinnert, ist „House Of Cards“ die erste von Netflix selbstproduzierte Serie gewesen. Sie startete zu einer Zeit, als US-Präsidenten noch letztlich honorige Leute waren und Serien der „heiße Scheiß“. Heute werden unentwegt ganze Serienstaffeln ausgestoßen wie eine Kette von Würstchen. Das könnte nur ohne Qualitätsverlust gelingen, wenn die selben kreativen Köpfe unendlich belastbar wären oder wenn es plötzlich unendlich viele zusätzliche geniale Autoren gäbe.
„House Of Cards“ ist das Ende der großen Illusion vom „neuen Zeitalter der episch erzählten Dramaserie gehobener Kategorie“. Das ist unbestreitbar ein historisches Verdienst.

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