betr.: 30. Todestag von Walter Gross
Walter Gross war ein Komödiant. Das bedeutet: in komischen Partien machte er den größten Spaß, aber auch die ernsteren wusste er zu gestalten. In der Leichten Muse – heute würde man sagen: in den Medien – hat er nichts ausgelassen. So war er nicht nur Schauspieler, sondern auch Kabarettist … und in dieser Funktion diente er auch als Inspizient und Vorhangzieher. Wenn er in der Kulisse stand – aus Gründen der Überlastung nur teilweise umgekleidet, halb im Biedermeierfrack und halb in Unterhosen -, kam es schon mal vor, dass die Kollegen auf der Bühne ihr Duett verlachten. Hilfsgarderobier war er auch und außerdem Einspringer, wenn ein berühmter Kollege, der während der Vorstellung zwischen zwei Theatern pendelte, einmal nicht pünktlich kam. Es waren wilde Zeiten damals im Berlin der Revuetheater, Kellerbrettl und Amüsierpaläste.
In der Collage links oben: der köstliche Walter Gross. Rechte Seite Mitte: Günter Neumann, der Chef der Insulaner.
Walter Gross kam 1903 als Sohn eines Hoteliers in Eberswalde zur Welt, wurde erst Speditionskaufmann und studierte dann an der Schauspielschule des Deutschen Theaters. Bei Max Reinhardt lernte er, Pointen zu setzen, und qualifizierte sich für Auftritte in Friedrich Hollaenders Programmen und im „Kabarett der Komiker“.
Dann kam das Dritte Reich, und nun konnte der Beruf des Komikers auch gefährlich werden. Als Walter Gross zusammen mit Werner Finck und Günther Lüders im Kabarett „Tingeltangel“ allzu frech gegen die neuen Machthaber wurde, landete er im KZ und erhielt anschließend einige Jahre Auftrittsverbot. Bereits zu Kriegszeiten konnte er auf die Theaterbühne zurückkehren.
Eine seiner Glanzrollen, den „Jenosse Funzionär“, fand er in Günter Neumanns RIAS-Radiokabarett „Die Insulaner“ nach dem Krieg. Die Figur war in einer buchstäblichen Schnapslaune entstanden: beim spätabendlichen Zusammensein mit Kollegen hatte er sich erhoben und eine Ur-Berliner Rede gehalten, die Neumann so komisch fand, dass er sie sofort ins Programm aufnehmen wollte. Doch Walter hatte improvisiert und sich kein einziges Wort davon gemerkt. Man redete nicht mehr davon, bis der Chef eines Tages mit einer Nummer wiederkam, die dieser Darbietung deutlich nachgebildet war. Der trottelige SED-Funktionär wurde zu einem Renner bei den Hörern und zu einer Säule der Insulaner-Programme. Ab 1953 spielte Walter Gross auch bei den „Stachelschweinen“. Unterdessen brachte er es auf unzählige Theateraufführungen, 120 Fernsehproduktionen und 160 Kinofilme.
Meine Generation kennt ihn noch als muffigen Kauz in „Drei Damen vom Grill“, die noch reiferen Jahrgänge haben ihn als Synchronsprecher in zwei prominenten Cartoon-Rollen erlebt: als Winnie Puuh und (mit praktisch unverstellter Stimme) als Schweinchen Dick.
Davon ist heute nichts mehr übrig, diese Kunst erwies sich als beinahe ebenso flüchtig wie die Theaterauftritte. Der Disney-Bär wurde längst umbesetzt, und die Serie „Schweinchen Dick“ geriet schon beim ersten Durchlauf im ZDF 1972 wegen zu großer Brutalität in die Kritik und wurde abgesetzt. Als zehn Jahre später die Warner-Cartoons mit „Mein Name ist Hase“ ins Kinderfernsehen zurückkehrten, fehlte Schweinchen Dick im ansonsten vollzähligen Ensemble um Bugs Bunny und Daffy Duck – so als wollte man kein Risiko eingehen. Ein einziges Mal rutschte das kleine Ferkel in einer winzigen Nebenrolle in eine Ritterfilm-Parodie. Für diesen Auftritt wurde der Walter Gross nicht mehr bemüht. Mir hallt noch sein Schlusswort aus „Schweinchen Dick“ in den Ohren: „Und immer schön fröhlich bleiben!“