Bloß nicht noch ein Episodenfilm!

betr.: „Once Upon A Time … In Hollywood“ von Quentin Tarantino

Quentin Tarantino ist zweierlei: ein absolutes Unikat und ein Symbol für den Zustand Hollywoods – besser: für dessen Stadium.
Einerseits haben wir mit Tarantino den einzigen noch existierenden Vertreter eines Regisseur-Typs der alten Schule vor uns: einen durch und durch kommerziellen amerikanischen Entertainer mit ausgeprägtem Personalstil, dessen Name nicht nur seine Fans ins Kino lockt, sondern auch jene, die sich zuletzt gar nicht mehr sonderlich über ihn amüsiert haben (und der also über ein entsprechendes Budget verfügt). Für die einen wie für die anderen spielt das keine Rolle: man will den „Neuen Tarantino“ einfach gesehen haben.
Der Regisseur hat sich diesen Status sehr anständig und schon so frühzeitig verdient, dass er seit Jahren eine kokette Langeweile vor sich herträgt, die er mit der Ankündigung untermauert, dieses sei sein vorletzter von maximal zehn Filmen. Angesichts dessen muss man sich glücklich schätzen, wie sorgfältig er noch immer zu Werke geht. Selbst, wer „The Hateful 8“ nachträglich für einen Tiefpunkt hielt (wie einige Rezensenten), wird ihn kaum als schludrig empfunden haben.
Was Tarantino zu einem exemplarischen Kind unserer Zeit macht, ist sein „Highlander“-Status: es kann nur einen von dieser Sorte geben. Er erinnert uns daran, wie wenig die persönliche Handschaft eines Regisseurs in unseren Tagen gilt, wenn er es auf ein wirklich großes Publikum anlegt. Tarantino ist die Ausnahme von der Regel.

„Once Upon A Time … In Hollywood“ ist weniger ein geschlossenes Werk als die Verwertung mehrerer Projekte, die Tarantino parallel entwickelte, erwog und nicht verwerfen wollte. Die Klammer-Erzählung dieser Artefakte handelt von einem abgehalfterten Fernsehcowboy, der viel weniger an seinem Bedeutungsverlust leidet als an der inneren Leere, auf die ihn sein Erfolg zurückgeworfen hat: er kann im Leben gar nicht noch mehr erreichen, und das ist verdammt hart in diesem Alter. Zusammengehalten wird all das von einem Kitt üppig beschworener „Summer Of Love“-Folklore, also vielen Requisiten, Souvenirs und Soundbites aus dem Jahr 1969 sowie unterschiedlich gut besetzten Doubles damaliger Stars.
Der aktuelle Western des Schauspielers Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ist eine weiterer Zettel aus Tarantinos Kasten. Wir sehen eine durchgehende Passage daraus, die niemand am Stück drehen würde, die aber von einigen Alibi-Texthängern und Regie-Einwürfen zur Set-Beobachtung zurechtgemogelt wird.

Die stärkste Szene des Films – die einzige, die mich wirklich restlos gefesselt hat – stammt aus einer Episode, in der der lässige Brad Pitt eines jener Hippiemädchen im Wagen aufgabelt, die wie Hitchcocks unheilvolle Krähen das Straßenbild von Los Angeles bevölkern. Er will ein stillgelegtes Western-Set in der Wüste besuchen, und stellt fest, dass sich  die Kommune des Mädchens dort eingerichtet hat. Das alles gewinnt zusätzliche Bedrohlichkeit durch unsere Gewissheit, dass es sich dabei um die darauf berüchtigte Manson-Sekte handelt.
Die besagte Szene zeigt Brad Pitt beim Betreten eines verfallenen Hauses, nachdem ihm die sinisteren Blumenkinder mehrfach streng verboten haben, dort hineinzugehen.
Um den Suspense zu perfektionieren, greift Tarantino zu einer List, die er (dem das Publikum aus der Hand frisst) überhaupt nicht nötig hätte. Er unterlegt sie als einzige Szene des Films mit einem klassischen Underscoring, also jener Art illustrierender Filmmusik, die once upon a time in hollywood üblich war und die heute verpönt ist: in diesem Fall eine billige, grundsolide Spannungsmusik à la „Have Gun, Will Travel“. Diese Maßnahme kaschiert er mit einer nebenan im Fernsehen laufenden Western-Serie, deren dialogfreie im Raum schwebende Filmmusik genau zur tatsächlichen Situation passt und uns wirklich um Brad Pitt bangen lässt.
Tarantino setzt der alten Tradition des Soundtrack-Handwerks ein Denkmal, aber er versteckt es gut genug, um die Digital Natives nicht zu verstören.

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