Fortsetzung vom 20.10.2019
Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.
Die Schatzkammer von Hammerwood*
Ich kam mit dem damals noch namenlosen Projekt der freien Soundtrackproduktion nicht weiter, und für Alhambra flatterte mir auch nichts Berauschendes auf den Schreibtisch. Gerade hatte ich die Nachricht aus Australien erhalten, dass sie mir den neuen Mario Millo nicht lizensieren wollten. Das konnte ich leicht verschmerzen, da die Produktionsfirma ohnehin keine deutsche Fernsehanstalt fand, die diesen Mehrteiler ausstrahlen mochte. Ron Goodwin kam mit seinen Rekonstruktionsarbeiten nicht so richtig voran, dass die CD nicht zum MIDEM fertig werden würde, war bereits abzusehen. Und Heinz blieb so verdächtig ruhig. Also rief ich ihn dann mal an und fragte so ganz beiläufig, wer denn nun bei seinen dänischen Filmen angebissen habe. Aber da war niemand. Heinz hatte inzwischen alle Sender angeschrieben und mit Ansichtskassetten bestückt, aber eine Absage nach der anderen kassiert. Ich sollte doch mal in England nachfragen, ob man da nicht an Filmrechte herankommen könnte. Tat ich gerne und fand auch in Hammerwood Film einen unabhängigen Anbieter. Sein Katalog umfasste hunderte von Titeln, und Heinz war ganz begeistert. Ich las diesen Katalog eher mit Misstrauen. Es tauchten zwar Schauspieler wie Orson Welles, Sean Connery, Sophia Loren und „Gina Nazionale“* auf den Besetzungslisten auf, aber wie konnte eine in der Branche weitgehend unbekannte Firma, die nur aus einem Mann und einer Halbtagssekretärin bestand, alle diese Rechte erworben haben? Ich brauchte fachkundigen Rat, denn schließlich wollte ich nicht 10.000 englische Pfund ausgeben, um noch vor der ersten Fernsehauswertung eine Armada von Leo-Kirch-Anwälten am Hals zu haben.
Ich beschloss, mich an Irene Klautke-Voigt in München zu wenden, eine wirkliche Frau vom Fach, die ihr ganzes Berufsleben in dieser Branche zugebracht hatte, erst bei Omnia Film, später in ihrer eigenen Firma. Ich hatte sie zwar mindestens 25 Jahre nicht mehr gesehen, aber sie würde sich ganz bestimmt an mich erinnern – die Kinderzeit vergisst man nicht. Ich besorgte mir ihre Telefonnummer und rief sie an. Nach großem „Hallo!“ kam ich zu meinem Anliegen, und sie meinte, ich solle doch mit all meinen Unterlagen bei ihr in München reinschauen. Vielleicht wäre ja auch für ihre Firma etwas dabei. Sorgen brauche ich mir keine zu machen. Wenn sie etwas fände, bekäme ich eine Provision. Ich fuhr also mit dem Nachtzug nach München (Liegewagen), um am nächsten Nachmittag mit dem ICE zurückfahren zu können. Ich wollte so schnell wie möglich wieder nach Hamburg. Es lagen alarmierende Nachrichten sowohl aus Pirmasens als auch von der Waterkant vor.
Frau Klautke-Voigt blätterte also den Katalog durch. Zu dem einen oder anderen Filmtitel fielen ihr Anekdoten von den Dreharbeiten ein, bei wieder anderen Filmtiteln schüttelte sie bedenklich ihren Kopf und kam insgesamt zu dem Schluss: Hammerwood mochte von den Filmen zwar die Rechte für die Elfenbeinküste, Ghana und Französisch Neu-Guinea haben, vielleicht auch noch für Großbritannien, aber von den interessanten Titeln mit größter Wahrscheinlichkeit nicht für Deutschland. Also: Hände weg! Wenn ich es doch probieren wollte, solle ich mir vor Vertragsabschluss die lückenlose Kette der Rechteübertragungen vom Produktionsjahr bis zum aktuellen Datum geben lassen. Wenn da nur sechs Monate nicht belegt seien, handelte es sich vermutlich um ein Konkursverfahren der Produktionsfirma, und nach der TV-Ausstrahlung könnte ein findiger Anwalt die Gage für seinen unbezahlten Mandanten beanspruchen.
Irene diktierte mir noch eine kleine Liste von Titeln, mit denen ich es ja mal probieren könnte. Sie selbst war an einem Film interessiert, von dem ich ihr eine Ansichtskassette besorgen sollte. Habe ich gemacht, aber einen Käufer dafür hat sie nicht gefunden.
Auch sonst machte Hammerwood nicht den besten Eindruck. Oft dauerte es Wochen oder gar Monate, bis man die gewünschten Ansichtskassetten bekam, und diese enthielten selten das, worauf man gewartet hatte. Warum das so war, erfuhr ich später bei einem persönlichen Besuch in Brighton, wo die Firma residierte. Ich hatte zumindest ein ansehnliches Filmlager erwartet. Gab es aber nicht. Hammerwood musste sich die Kassetten aus halb England und z. T. aus den USA schicken lassen, und da der Eigentümer ein ganz sparsamer älterer Herr war, scheute er die Kosten für Luftfracht.
Nach diesem Ausflug war das Geschäft mit Filmrechten für mich erledigt.
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* Hammerwood Park ist ein Landhaus in Hammerwood bei East Grinstead in der englischen Grafschaft East Sussex, das mit der beschriebenen Firma nichts zu tun hat. Diese wählte den Namen vermutlich, um Assoziationen mit „Hollywood“ und den berühmten „Hammer Studios“ zu wecken.