Große Männer eiern nicht

betr.:  77. Geburtstag von Ben Kingsley

Tröstliche Worte können aus hemdsärmeliger Quelle strömen. Kürzlich las ich in einem Interview mit Thomas Gottschalk den ausdrücklichen Nebensatz, dass niemand es jemals geschafft habe: „Wir alle eiern rum.“ Wenn das ein berufsmäßig seriöser Hallodri so unaufgeregt ausspricht, dann hat es schon eine gehörige Aussagekraft.
Vermutlich verhielt es ich schon immer so, aber die Relativität von „etwas Erreichtem“ dürfte in unseren Tagen zugenommen haben. Erfolg gebiert heute nicht nur Neid, er setzt ein sprungbereites System von Doof-Findern und zumeist anonymen Hasspredigern in Gang. Als Keira Knightley vor einigen Jahren von der SZ gefragt wurde, wie es sich anfühlt, seit frühester Jugend von der Öffentlichkeit bewundert zu werden, meinte sie, der Starkult böte zum Abheben keinen rechten Anlass mehr: „Man wird so toll gefunden wie schrecklich. Das gleicht sich aus.“

Heute hat der vielleicht letzte Mensch Geburtstag, der mit einer einzigen Filmrolle zu einer unantastbaren, weiterlebenden Legende geworden ist: Sir Ben Kingsley alias Mahatma Gandhi. Das nächste Beispiel, das mir für diese untergegangene Spezies einfällt, ist Peter O’Toole alias Lawrence von Arabien – auch er ein wandelnder Doppelpack aus gleich zwei großen Männern.
Beide Schauspieler haben weiter gearbeitet, große und kleine Filme und Theaterstücke gemacht, Skandale und offensichtliche Geschmacklosigkeiten vermieden und es so geschafft, die einmal errungene Würde zu bewahren. Das klingt verblüffend und unzeitgemäß.

Kingsley hat sogar versucht, gegen „Gandhi“ anzuspielen, doch die Liste seiner Rollen liest sich sehr feuilletonistisch: der Vater der Anne Frank, Simon Wiesenthal, Georges Meliés, Lenin, Meyer Lansky … Weder der wilde Ganove in „Sexy Beast“ noch der Marvel-Bösewicht Mandarin beschädigten sein Fluidum. Diese souveräne Eleganz hat ihm vielleicht die Royal Shakespeare Company mitgegeben, in deren Mutterkuchen er die ersten zehn Jahre seiner Laufbahn verbrachte. Und sein Wunsch, mit zunehmender Erfahrung immer weniger zu machen „wie diese wunderbaren japanischen Maler, die ein Bild von einem See und einem Baum und zwei Fischern und einem Vogel“ mit einem Strich schaffen, wenn sie ihre Ökonomie lange genug geschult haben. So wie es auch ein guter Comiczeichner tut.

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