I. Dirty Hands, Dirty Face
Die Minstrel Show zählt zu den Urformen sowohl des Musicals* als auch der Comedy. Obwohl der Begriff aus der Alten Welt stammt (Minstrel = Bänkelsänger), bezeichnet er eine rein US-amerikanische Form der Unterhaltung. Ab 1840 treten nachlässig als Schwarze geschminkte Weiße in komischen, musikalischen Szenen auf. Wirkliche schwarze Darsteller hätten – selbst im niederen Tingeltangel – von einem weißen Publikum keinen Applaus bekommen. Das änderte sich auch mit dem Ende des Bürgerkrieges nicht, als es ihnen immerhin offiziell erlaubt war, öffentlich aufzutreten.
Vordergründig machte man sich in solchen Spielszenen über vermeintlich „negroide Eigenheiten“ lustig: geringe soziale Stellung, Schlichtheit, schlechte Grammatik. Das Zentrum bildet der verbale Schlagabtausch zweier Endmen, zweier Archetypen namens Tambo und Bones, denen ein Zeremonienmeister, der bessertuende Interlocutor, gegenübergestellt wird.
Ironischerweise enthält der modus operandi der Minstrel Show eine Reihe ganz und gar nicht rassistischer Aspekte. Tambo und Bones sind Anarchos, die sich in ihren One-Linern und Spielszenen über den affektierten Interlocutor mit seinem kultivierten Englisch lustig machen und letztlich die Lacher auf ihrer Seite haben. Sie bereiten den Boden für den komischen Underdog späterer Zeiten (der ein gutes Jahrhundert darauf z.B. „Nerd“ genannt werden wird). Das Publikum fühlt sich diesen Burschen überlegen, schenkt ihnen aber nicht zuletzt deshalb seine Sympathien – eine klassische Aufteilung, die von den frühen Stummfilmkomikern weiter gepflegt werden wird und sich bis heute erhalten hat.
Die Musikalität dieser Programme wiederum spielt auf die unleugbare Tatsache an, dass die Afroamerikaner über eine Musikalität und ein Rhythmusgefühl verfügen, die sich der weiße Mann nur zu imitieren traut, wenn er sich zuvor verkleidet. (Ab der Jahrhundertwende wird der Jazz** – eine weitere ur-amerikanische Kunstform – dieser Sorge neue Nahrung geben.)
Inhaltlich sind die Akteure sowieso ganz bei sich selbst und ihrem Publikum: sie üben Gesellschaftskritik und ergehen sich in Frotzeleien über Politik, Sex, Arbeit, Moral oder Alkoholgenuss.
Es soll sogar schwarze Künstler gegeben haben, die es wagten, sich in einer Art Doppel-Camouflage zu präsentieren.
Diese Kunstform verschwindet mit dem Siegeszug des Musicals – als „Stichtag“ wird der erste Welterfolg des Genres angenommen, in dem erstmals schwarze Darsteller neben weißen agieren konnten: „Show Boat“***. Die Minstrel Show wird nicht als abgeschmackt oder rassistisch abgeschafft, sondern allmählich überflüssig und von frischeren Konzepten überholt, in denen einzelne ihrer Elemente fortleben. Noch jahrzehntelang wird sie in der Popkultur als Bestandteil der Kultur- und Sittengeschichte bzw. als nostalgisches Zitat arglos heraufbeschworen. Der jüdische Entertainer Al Jolson, der Star des ersten Tonfilmerfolges „The Jazz Singer“ (ein Gegner des Rassismus) wird zumeist mit schwarz geschminktem Gesicht abgebildet, wie einst bei seinen berühmten Plantation Acts.
Anfang des 21. Jahrhunderts ist das Minstrel-typische Blackfacing so verpönt, dass es selbst in historisierender Form nicht mehr darstellbar ist. (Es nützt nichts: parallel dazu erlebt der Rassismus eine neue Blütezeit.)
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* Siehe auch https://blog.montyarnold.com/2016/04/05/broadways-like-that-die-geschichte-des-musicals-3-the-black-crook/
** Siehe auch https://blog.montyarnold.com/2014/10/21/eine-abkuerzung-zum-jazz-1-der-ragtime/
*** Siehe auch https://blog.montyarnold.com/2014/12/27/musikdampfer-mit-mission/
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vicit“.
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