Geschichte des Komiker-Handwerks (5)

Fortsetzung vom 21.3.2020

Mark Twain ist die Quintessenz der amerikanischen Erzähltraditionen, des „Native American Humor“. Walter Blair schreibt in seinem gleichnamigen Quellenwerk: „In gewisser Weise sind seine Arbeiten die Summe des ur-amerikanischen Humors im 19. Jahrhundert. Sie bringen ihn gleichsam zur Vollendung.“ Mark Twain alias Samuel Longhorne Clemens wuchs in die großen Witz- und Erzähltraditionen Amerikas hinein: den „Down East Humor“, den „Humor In The Old South West“ und die Kultur der „Literary Comedians“. Er wurde dafür geschätzt, das Parlando seiner Zeit und ihrer Menschen einfangen zu können, den „Oral Style“. Diese Qualität des Welterfolgs “The Adventures Of Huckleberry Finn” (1884) findet sich bereits in der Kurzgeschichte„The Celebrated Jumping Frog Of Calavas County“, die 1867 Twains Durchbruch bedeutete. Sein feines Ohr für die Sprache seiner Mitmenschen erlaubte ihm eine präzise Figurenzeichnung, doch im Gegensatz zu seinen Vorläufern ging es ihm nicht darum, seine Figuren (mittels Vorführung ihres Slang oder Dialektes) der Lächerlichkeit preiszugeben. Indem wir über sie lachen, ertappen wir uns auch stets ein wenig selbst.

Ein Mittel, das Twain gern zur Anwendung brachte, war die Bildung ungleicher Wortpaare, die Kombination eines aufwertenden Adjektivs mit einem negative konnotierten Hauptwort: imposing insanity, charming absurdity, majetsic ignorance, illustrious guttersnipe. Ganze Absätze konnten nachdiesem Prinzip gefertigt sein.
Wie La Rochefouchauld oder Oscar Wilde machte auch Twain den Aphorismus zu seinem Spezialgebiet. Und auch aus seinen Bemühungen sind geflügelte Worte hervorgegangen: „Nichts bedarf der Veränderung so sehr wie die Gewohnheiten anderer Leute.“ oder „Alle reden übers Wetter, aber keiner tut was dagegen.“.
Sie sind in den Schatz jener Witze übergegangen, deren Verfasser zumeist nicht mehr feststellbar sind und die davon leben, weitererzählt zu werden. Die weniger geläufigen von Twains Einzeilern sind ebenso trefflich („Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das in der Lage ist, zu erröten – und das einzige, das es nötig hat.“ …)

Da Mark Twain sich auf den unterschiedlichsten literarischen und journalistischen Gebieten betätigte, hatte er stilistisch freie Hand, in allen vier Disziplinen der schriftlichen Komik zu glänzen: „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“. 
Doch seine Gags wurden derber, sein Ton zunehmend pessimistisch.
In seiner Autobiographie (die inzwischen, wie von ihm verfügt, 100 Jahre nach seinem Tode veröffentlicht wurde) wird abermals deutlich, was sich schon dem chronologischen Leser offenbarte. Eine Reihe von Schicksalsschlägen, der wachsende Ekel vor den Torheiten und Unzulänglichkeiten der menschlichen Gesellschaft und nicht zuletzt der schiere Zahn der Zeit am eigenen Leibe machten Twain nach und nach zu einem Spezialisten für Schwarzen Humor.
Bei fähigen Humoristen muss auch Bitterkeit der Qualität ja nicht abträglich sein.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vicit“.

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