betr.: „The Visit“, letzte Nacht im ZDF
Vor keinem Horrorfilmregisseur fürchte ich mich so sehr wie vor M. Night Shyamalan. Nicht, weil seine Filme so gruselig wären, sondern weil ich sie ärgerlich finde: prätentiös, glotzäugig und selbstbesoffen. Shyamalan ist der kaltblütige Schänder mehrerer Film- und Fernsehabende meines Lebens, die zu den schönsten hätten zählen können. Und was das Schlimmste ist: besonders zu Beginn seiner Karriere fanden sich zahllose nachsichtige Gemüter, die ihn emsig von Berufs wegen gelobt und gefeiert haben.
Gestern nacht sah ich erstmals und zufällig einen älteren Film von ihm: „The Visit“. Eine Überraschung! Ein nahezu makelloses Werk! Ein höllisches Vergnügen!
Die Teenager Tyler und Rebecca haben ihre Mutter überredet, ihre Großeltern besuchen zu dürfen, die sie sie nie kennengelernt haben, weil sich Mutter Loretta wegen ihrer frühen und übereilten Ehe mit ihnen überworfen hat. Diese Ehe ist inzwischen gescheitert, Vater hat eine Neue und ist über alle Berge. Obwohl die Kids wohlgeraten sind und Loretta gut alleine mit ihnen klarkommt, hat sie den Kontakt zu ihren Eltern seither eisern vermieden.
So fahren der extrovertierte Tyler und seine oberschlaue große Schwester aufs Land, um die Oldies zu besuchen, während Loretta mit ihrem neuen Lover eine Kreuzfahrt macht. Per Skype bleiben sie in Verbindung. Außerdem filmen die Kinder den gesamten Ausflug mit ihrem Smartphones und einer zusätzlichen Kamera; der gesamte Film ist als dokumentarische Montage aus diesen Aufnahmen erzählt (ein sogenannter Found-Footage-Film).
Tyler und Rebecca erleben verstörende Dinge. Sie beruhigen sich damit, dass das Greisenalter ein beschwerlicher und mitunter etwas peinlicher Lebensabschnitt ist. Doch dann begeht Tyler den Fehler, das seltsame Verhalten der Alten mit der Kamera erforschen zu wollen …
„The Visit“ versöhnt mich fast mit Shyamalans früheren Arbeiten, denn er profitiert offensichtlich von deren Fehlern.* Es ist beeindruckend, wie souverän der Regisseur es diesmal den Tücken sowohl des Horror- als auch des Familienfilms trotzt.
Loretta wirkt ein bisschen tutig mit ihrem hypermodernen Lebens- und Erziehungskonzept. Doch obwohl ihre Blauäugigkeit die Kinder in schreckliche Gefahr bringt, man kann ihr keinen Vorwurf machen. Sie bleibt eine positive Figur. Die Kinder wiederum (bzw. ihre Darsteller) sind bei allem neunmalklugen, hyperaktiven Getue so patent und liebenswert, dass sie mir niemals auf die Nerven gehen. Ihre Naivität ist verzeihlich, ihre taktischen Versäumnisse ergeben sich aus der Unterschiedlichkeit ihrer Temperamente. Ich sorge mich um sie (im Gegensatz zum üblichen Teenie-Horror, der darüber funktioniert, dass man das Ensemble zum Teufel wünscht).
Die deutsche Synchronfassung (Dialogbuch von Tobias Neumann) ist übrigens meisterhaft, sogar in den Momenten, in denen der kleine Tyler (der überragende Ed Oxenbould) zu rappen beginnt.
Angestaubte aber unverzichtbare Horror-Klischees (Kinder in Not, Spukhaus, nette Psychopathen, überkommen-konservativer Familienkitsch) verbinden sich gekonnt mit unserer alltäglichen Mühsal (technisches Wettrüsten in der Hosentasche, Kids im Internet, demografischer Wandel, moderne Familienverhältnisse). Die vielen frühen Warnsignale versickern so redlich in Normalität und Harmlosigkeiten, dass der Selbstbetrug der Kids („In wenigen Tagen fahren wir ja wieder nach Hause!“) uns gleichsam überzeugt und wahnsinnig macht.
Schließlich schafft es der Film sogar, die wenig originelle Pointe bis zuletzt – bis zu jenem Skype nach Mutters Heimkehr und ihrer irritierten Feststellung – von uns fernzuhalten. Sogar Shyamalans Konzession an unsere Happy-End-Erwartung wird mit der abschließenden Tag-Scene (und einem ironischen Hinweis vorneweg) elegant und witzig beantwortet.
Der einzige Wehrmutstropfen: nachdem wir über eine Stunde lang von feinstem Andeutungs-Horror auf kleiner Flamme geröstet worden sind, kommt es beim Showdown zu unnötig barbarischen Pipikacka-Zoten.
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* Ganz ähnlich erging es mir bei diesem Beispiel: https://blog.montyarnold.com/2018/10/17/funny-bones/
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