Die schönsten Filme, die ich kenne (103): „Der Prinz im Fahrstuhlschacht“

Der stumme Zweiakter „Double Whoopee“ wird zwar von William K. Everson zu den besten Stummfilmen mit Laurel und Hardy gerechnet, aber er gehört eher zu den vergessenen Werken im deren umfangreichem Schaffen. Noch lange nachdem er im Mai 1929 herausgekommen war,  war er überaus populär, weil die 17jährige Jean Harlow hier (für damalige Verhältnisse) leicht bekleidet zu sehen ist, nachdem ihr die Helden die Abendrobe ruiniert haben.
Rückblickend verfügt der Film über zahlreiche weitere Vorzüge.

Diese Aufmachung von Jean Harlow galt in den Wilden 19-Zwanzigern als gewagt und will dem Rezeptionisten gar den Atem verschlagen haben. (Image Entertainment / The Nostalgia Archive)

Während in einem Luxushotel am Broadway mit Hochspannung das Eintreffen eines europäischen Prinzen erwartet wird, treffen Stan und Ollie ein, um ihre neuen Jobs als Hausdiener und Türsteher anzutreten. Nachdem man sie zunächst mit dem hohen Besuch verwechselt hat, gehen sie mit viel gutem Willen ans Werk. Binnen kürzester Zeit haben sie nicht nur das Personal und einen Großteil der Gäste in Aufruhr versetzt, sondern den Staatsgast – Inbegriff des preußischen Übermenschen und ein Double Erich von Stroheims – dazu gebracht, Amerika den Krieg zu erklären.

Dieser Film hört nicht auf, mich in Erstaunen zu versetzen! Als ich ihn bei der Vorbereitung einer Stummfilm-Live-Präsentation besonders intensiv wiedersah, entdeckte ich ihn – mein Favorit seit Kindertagen – völlig neu und betrachte ihn mittlerweile als Laurel & Hardys komischsten und poetischsten stummen Zweiakter. Ich sah ihn in den letzten Wochen unzählige Male bei der Arbeit und spielte ihn mir danach noch mehrmals zum reinen Vergnügen vor. Keine der vier Laurel-und-Hardy-Juwelen, die ich zuvor für die Live-Aufführung bearbeitet habe, ist in jedem einzelnen Augenblick so unwiderstehlich, so präzise, so brüllend komisch und spielt so ausgiebig mit dem persönlichen Verhältnis seiner Helden. Weiterhin ist dieses der erste Film, in dem Oliver Hardy – der zu Beginn der Partnerschaft noch sehr raumgreifend und kraftvoll agieren konnte – seine Persona als Virtuose winziger Gesten bis ins Pianissimo seines stummen Leides hinein perfektioniert hat.

Der Schauspieler Rolfe Sedan, der als Rezeptionist zunächst die Falschen begrüßt, verriet der Nachwelt eines der Geheimnisse der besonderen Magie von Laurel & Hardy, die sich hier so besonders deutlich zeigt. „Ich habe auch mit Harold Lloyd gedreht“ erzählte er. „Das war etwas völlig anderes. Lloyd gab die Losung aus: ‚Ich kann niemandem erlauben, mich zu toppen! Ich muss der Hecht im Karpfenteich sein!‘ Er war ja bereits ein Star, und alles war um ihn herum konstruiert und kreiste ausschließlich um ihn. Bei Laurel und Hardy stand immer das komische Ganze im Vordergrund, und es war nebensächlich, wer den Lacher bekam!“
Abgesehen davon, dass James Finlayson* leider ausnahmsweise nicht mit von der Partie ist, bietet uns „Double Whoopee“ ein Musterbeispiel für die hohe Kunst des komischen Ensemblespiels.

„Double Whoopee“ entstand in der für dieses Filmstudio hochproduktiven Übergangszeit vom Stummfilm zum Tonfilm. Oft ist zu lesen, von diesem Filmen sei parallel eine stumme und eine Tonfassung gedreht worden; doch zweiteres bedeutete im Februar 1929 nur eine Ausspielung mit Musik- und synchronen Toneffekten. Eine Fassung mit Dialogen ist mir jedenfalls niemals untergekommen (mit Ausnahme der deutschen Bearbeitung, die Hanns Dieter Hüsch in den 70er Jahren aus der stummen Fassung für das ZDF gemacht hat). Kurioserweise ist die sehr unscharfe Kopie aus der Fernsehsendung die vollständigste. In allen mir bekannten restaurierten Kopien auf VHS, DVD, Laserdisc und im Fernsehen fehlen einzelne Gegenschüsse und Details. Die Laserdisc von 1993 will sogar auf vier verschiedenen Negativen basieren, doch auch sie ist nicht ganz komplett.
Sollte mir jemand aus dem Leserkreis dieses Blogs hierzu mehr erzählen können, bitte ich um Zuschriften!
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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2016/10/09/6384/

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