Die Marvels wie sie wirklich waren: Remo (2)

Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Ich bedanke mich herzlich für die Genehmigung, sie hier wiederzugeben.

Interview mit Remo (Reinhard Mordek)

Fortsetzung vom 16.11.2020

Daniel Wamsler: Im Monat der Namensänderung von bsv zu Williams entfiel eine komplette Produktion, die allerdings nur bei wenigen Serien anhand der fortlaufenden Nummerierung auffiel (z.B. “Hit Comics- Die Spinne“, „Horror“). Das dürfte wohl kurz vor ihrem Einstieg gewesen sein. Gab es zum damaligen Zeitpunkt bereits Reaktionen seitens der Leser auf solche Missstände?

Reinhard Mordek: Nein – und wenn, wurden sie nicht beachtet. Der bsv hatte auch keine Möglichkeit einzugreifen. Im Verbund mit den anderen europäischen Verlagen war man gezwungen und froh, überhaupt zu erscheinen. Das änderte sich erst später.

“Remo” Reinhard Mordek anno 1974 an seinem New Yorker Schreibtisch. Im Hintergrund Druckvorlagen für ein deutsches „Dracula“-Cover und (nicht zu erkennen) drei Fotos von Stan Lee.

Warner Bros. USA hatte Anfang der 1970er Jahre National Periodicals (DC Comics) gekauft, deshalb auch das W-Symbol auf den späten Hit- bzw. „Superhelden-Comics“. Da die Marvels zu dieser Zeit weltweit über eine Tochtergesellschaft von DC vertrieben wurden, gelangten diese auch nach Deutschland. 1974 startete der Williams Verlag sieben Serien neu ab Nr. 1. Als „Remo“ waren Sie derjenige, der die Leserschaft begrüßte. Welche Erwartungen hatten Sie und die US-Gesellschafter?

Als Klaus Recht den Williams Verlag übernommen hatte, zogen wir um in die „Medien“-Stadt Hamburg. Vorweg muss ich noch Andy Cathomas erwähnen. Andy, unser „neuer“ Artdirector (vorher gab es keinen) war auch als solcher bei Paris Match tätig. Erst durch ihn, den großen Comicfan und Mitbesitzer des Comic-Shops „Futuropolis“ wurden durch die Angleichung der Logos an die original Marvels und die Einführung des Handletterns die optischen Voraussetzungen für den Erfolg der deutschen Marvels geschaffen. Nun waren wir also in Hamburg und wollten die Marvels unabhängig von den anderen Europäern produzieren – von vorne, also mit der jeweiligen Nr. 1. Aber woher das Material nehmen? Also flogen Klaus Recht, Andy Cathomas und ich nach New York, um bei der Vertriebsgesellschaft Transworld Feature Syndicate das von Marvel dort deponierte Lithomaterial zu sondieren. Die US-Gesellschafter nahmen uns, glaube ich, nicht ernst – Hauptsache, wir bezahlten die Lizenzgebühren.

Wolfgang M. Biehler, der für den bsv arbeitete, ehe er seinen eigenen Verlag unter dem Namen Condor gründete, meinte in einem Gespräch, bezogen auf die Eindeutschung der frühen Marvel Comics: “ (…) wir sahen das damals nicht so eng“. Dieser fehlende Ernst erinnert auch an die Haltung Stan Lees, der seine Helden oft genug durch den Kakao zog und ihnen Spitznamen, Erkältungen aufgrund ihrer dünnen Kostüme und anderes verpasste. Welche Freiheiten hatten sie, bzw. welche Vorgaben gab es von Seiten des Verlags?

Natürlich sahen es die damaligen Übersetzer nicht so eng: 1. musste alles schnell gehen, 2. waren – so glaube ich – einige Übersetzer des Amerikanischen nicht so mächtig, 3. Waren einige bestimmt keine Comicfans, 4. war es ja „nur“ für Kinder und 5. waren die Übersetzer nicht mutig genug, den Originaltext witzig, mit einem Funken Satire ins Deutsche zu übersetzen. In Stan Lee sehe ich den brillanten Ideengeber und Texter, der sich die Freiheit nahm, eben diese Heros manchmal menschlich und fehlerhaft erscheinen zu lassen. In mehren Gesprächen mit ihm über eben dieses Thema, gab er zu, auch etwas provozieren zu wollen. Von Seiten des Verlages gab es für mich keine Vorgaben. Von wem auch?

Davon ausgehend, dass sie das Material Ihrer Vorgänger für eventuelle zukünftige Verbesserungen prüften, Ihre Meinung zu folgendem Sachverhalt: In den frühen Hit Comics schien sowohl die englische, als auch die Marvel-typische Sprache einige Probleme zu bereiten. Übersetzungen wie „Eine Zeit danach … dort ein Roboter“ (“Once upon a time … there was a robot!“),„das sagte Nuff!“ (Nuff said!) und Eigennamen wie „Erzkämpfer“ (Iron Man) und „Unterseemann“(Sub-Mariner) waren keine Seltenheit. Auch die Reihenfolge der frühen Zweitstorys war kaum nachzuvollziehen. Prinz Namors zweiter Auftritt erschien als „3. Fortsetzung“, beim Crossover Iron Man / Sub-Mariner aus „Tales Of Suspense“ verwechselte man die Serien und vergab zwischendurch einmal fälschlicherweise den „Sub-Mariner“-Titel usw. Auch zogen sich die vierseitigen Fortsetzungen über Monate hinweg, da diese jeweils nur in der betreffenden Hit Comics-„Unterserie“ erschienen. Da diese Seiten offensichtlich mit dem jeweiligen Heft separat übersetzt wurden, waren die Qualitätsunterschiede nur allzudeutlich und reichten von nahezu fehlerfreien Übertragungen bis hin zu Sätzen wie „Es ist fast ein Bohrloch, wo ich meine Nachtwache halte!“. Dennoch machen genau diese Stilblüten die Liebenswürdigkeit der Hit Comics aus, oder?

Ich weiß, dass durch den enormen Zeitdruck die Profi-Übersetzer mit den Lieferungen nicht pünktlich nachkamen und einige Comics dann im Hause übersetzt wurden – eben von Leuten, die glaubten, Englisch zu sprechen… Aber das war vor meiner Zeit. Ich finde die Häufigkeit der Stilblüten der Hit Comics eher peinlich.

Die Sprechblasentexte der Hit Comics wurdenzum Teil direkt per Schreibmaschine in die Druckvorlageneingefügt. Das erklärt wohl auch dievielen „Überlappungen“ in der Anfangszeit?

Das hatte ich gesehen – dergleichen muss das Atelier Baluch wohl unter Zeitdruck eingefügt haben. Es gab damals ja noch kein Korrekturlesen.

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