Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Ich bedanke mich herzlich für die Genehmigung, sie hier wiederzugeben.
Interview mit Remo (Reinhard Mordek)
Fortsetzung vom 3.12.2020
Daniel Wamsler: Etwa ein Jahr nach dem Neustart der Superhelden hörten sie auf für Williams zu arbeiten, welche Gründe gab es dafür?
Reinhard Mordek: Mein Aufenthalt in New York war von Anfang an aufein Jahr begrenzt. Nach meiner Rückkehr sollteich, auch „Manhattan“ genannt, die rechte Handvon Klaus Recht im Verlag werden. Er hatte denVerlag inzwischen ganz übernommen und von derRedaktion war meines Erachtens nur noch KirstenIsele übrig. Ein anderer Grund mag gewesen sein: Nicht ahnend, dass es mit Marvel in Deutschland und Klaus Recht trotz des Erfolges nicht zum Besten stand, habe ich mich auf eine Aktion am Rande eingelassen, die – wenn auch im Nachhinein nicht schlüssig – zum Bruch mit Klaus Recht führte: Andy Cathomas und Klaus Recht hatten stets ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Was Andy vorschlug, war für Klaus Recht immer o.k. Als Andy mich bat, für die Ausstellung „The wonderful world of original Comic Art“ am 15.11.1974 einige Originalzeichnungen der amerikanischen Comic-Größen zu besorgen, nahm ich natürlich an, dies sei bereits von Klaus Recht abgesegnet. So sprach ich zunächst mit dem Präsidenten der Academy of Comic Art, Neal Adams – den ich sehr gut kannte – und der ca. 300 Künstler in den USA repräsentierte. Neal war sofort Feuer und Flamme. Wie konnte ich ahnen, dass ich durch dieses Anliegen ein für die Verlage höchst prekäres Thema bezüglich der Eigentumsrechte an den Originalen anschnitt? Seit Jahren kämpften die Zeichner um Rückgabe und/oder Honorierung der Nachdrucke – und nun kam ich mit der Bitte um Herausgabe! Wasser auf die Mühlen der Zeichner, aber Gift und Galle von den Verlegern. Nach Vorsprache bei dem „Giganten“ Bill Gaines („Mad“) wurde ich geradezu aus seinem Büro geworfen! Das kam natürlich Klaus Recht zu Ohren – und trübte unser Verhältnis nachhaltig. Die Ausstellung kam übrigens dennoch zustande – mit Zeichnungen aus dem Privatbesitz der Künstler – wenn auch nicht erste Sahne …
Ihre Frau Ursula war von Anfang an dabei und letterte die ersten Hefte von Hand. Wobei es währendder ersten Produktionen hauptsächlichDruckschrift auf den Comicseiten zu sehen gab.Schade, dass dieser erste Schriftsatz in Handlettering-Optik später nicht mehr zum Einsatz kam,zumindest in Deutschland nicht. Nachdem „Remo“lautlos in der Versenkung verschwunden war,konnte man „Uschi Kedrom“ bzw. Ursula Mordektrotzdem noch einige Monate in den Credits lesen.
Meine Frau und ich wurden ab 1.10.1974 feste freie Mitarbeiter mit der Auflage, fünf Comics pro Monat zu übersetzen. Kedrom sollte zwei Marvels und zwei sog. “Gruppencomics” lettern. Natürlich hatte ich mehrere Produktionen bei meinem Abschied aus New York mitgebracht, aber wie Klaus Recht an neues Marvel-Material kam, ist mir bis heute schleierhaft.
Die Fans schätzen gerade das von Williams verwendete Handlettering. War dieser Schritt zu einer Zeit, in der üblicherweise alles maschinell gesetzt wurde, nicht auch riskant? Hatte die Umstellung auf das manuelle Lettern auch Kostengründe?
Handlettern war für Andy Cathomas und für mich das absolute Muss. Riskant war es nur zum Teil, weil es manchmal wegen der Versalien schlechter lesbar, zeitaufwendiger und teurer war – aber eben Marvel-like!
Einige der Titelbilder erschienen nicht Original, z.B. „Die Spinne“ Nr. 1 und 2, sowie „Die Fantastischen Vier“ Nr. 1 und 4. Die beiden letztgenannten waren auf einem Werbeplakat und der Vorschauseite der 1. Produktion noch anders dargestellt. Auch später wurden regelmäßig ganze Cover neugezeichnet. Lag das an fehlenden Vorlagen?
Schlicht und ergreifend: Ja.
Interessanterweise erschienen die jeweils ersten beiden Hefte der Serien die „Die Spinne“ und „Die Fantastischen Vier“ als Nr. 1 mit den exakt gleichen Farbfilmen 1978 in Dänemark. Zum Teil sieht man noch den deutschen Text „durchschimmern“, so z.B. beim roten Episodentitel von “Prinz Namor“. Auch die Aufteilung bei den „Fantastiske Fire“ war unlogisch, da sowohl FF # 1 als auch „Daredevil“ # 1 sich wie bei Williams gegenseitig unterbrachen – und das im selben dänischen Heft! Als Warner sich europaweit breit machte, erschien eine schwarzweiße „Frankenstein“-Fassung-Fassung als Williams-Album in den Niederlanden, die dieselben Kürzungen wie seinerzeit bei den deutschen Williams-Ausgaben aufwies. Haben Sie Informationen über die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Verlegern vor und nach 1974?
Nein. Ich war in New York beschäftigt, authentisches Material zu bekommen. Wie Klaus Recht in Europa agiert hat, weiß ich nicht.
„Dracula“ und „Frankenstein“ der 5. Williamsproduktion landeten auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. Was empfanden sie als Redakteur dieser Ausgaben, als ihre „Babys“ von der Behörde verschmäht wurden?
Es war lächerlich – aber wir waren machtlos.
Ende Oktober 2003 erschien „Dracula“ Nr. 5 innerhalb einer gebundenen Dracula-Neuauflage bei Marvel Deutschland/Panini. Da die Einträge der indizierten Hefte üblicherweise nicht gelöscht werden – was bei einigen Titeln (man denke nur an die Piccolos des Lehning Verlags) im Vergleich zu heute durchaus lächerlich erscheint – könnte so etwas ihrer Meinung nach erneut passieren?
Ich denke, nicht.
Ihr Kollege Hartmut Huff packte die Gelegenheit beim Schopf und verhöhnte die BPS umgehend in der nächsten“Dracula“-Ausgabe vonWilliams. Aufgrund des Produktionsvorlaufs erfolgte diese Reaktion allerdings erst in Dracula Nr. 16 vom April 1975, während die Indizierung bereits im Oktoberdes Vorjahres ausgesprochen wurde.
Na ja, besser spät als nie.