Die schönsten Hörspiele, die ich kenne (15): „Schlusslichter“

15. „Schlusslichter“ nach dem Roman von Georges Simenon, Bearbeitung und Regie: Eva Solloch, Produktion: NDR 2020 (74 min.) – Credits unter: https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/hoerspiel_kriminalhoerspiel/Hoerspiel-Schlusslichter,sendung1102514.html

Fast 33 Jahre lang war er ein glücklicher Mensch. Es fehlte ihm an nichts. Aber woher kam das das ganze Gerede, wenn er ein Glas zuviel getrunken hatte und erst auf Nancy und als nächstes auf die ganze Gesellschaft schimpfte?

Die Mittdreißiger Steve und Nancy Hogan fahren auf dem Highway von New York nach Maine, um ihre Kinder aus dem Feriencamp abzuholen. Die Stimmung ist gereizt: Nancy wirft ihrem Mann seinen uneingestandenen Alkoholismus vor, er fühlt sich von ihren permanenten Belehrungen entmannt und neidet ihr ihr tadelloses Selbstmanagement. Die Radiomeldungen über einen aus dem Gefängnis ausgebrochenen Schwerverbrecher interessieren das Paar weitaus weniger als uns Zuhörende. Als Steve wieder einmal zum Trinken an einer Raststätte hält, platzt Nancy der Kragen. Bei seiner Rückkehr findet Steve auf ihrem Sitzplatz die Nachricht, sie sei mit dem Bus weitergefahren (zum Glück hatte er den Zündschlüssel mitgenommen). Steve vertreibt diese unschöne Episode bei einem weiteren Barbesuch. Diesmal findet er den entflohenen Häftling Sid Halligan im Wagen vor, als er wiederkommt …

Der Vielschreiber Simenon schafft in seinem Roman „Feux rouges“ (1953) eine Atmosphäre, die nichts von seinem üblichen Pariser Flair verströmt und die uns umso tiefer in eine Beziehungshölle der amerikanischen Mittelklasse hinein- und die Nähe von Patricia Highsmith führt – was die Hörspielfassung von Eva Solloch vollendet. Der Autor variiert ein beliebtes Klischee: er trennt ein Paar, um dessen Teile zu schwächen. Nur handelt es sich diesmal nicht um die üblichen Unschuldslämmer, sondern um ein schon zuvor zerrüttetes Duo. Wie er es schafft, uns trotzdem für seine Helden einzunehmen, ist ein Meisterstück.

„Schlusslichter“ entstammt einem Paket aus sechs Simenon-Hörspielpremieren des NDR zum Jahreswechsel 2020/21.

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