Ungeschriebene Gesetze …

… des medialen Erzählens (1/3) / Film und Hörspiel

1. Ehrenvolle Fehlschläge im öffentlichen Labor

Mit ungeschriebenen Gesetzen ist das so eine Sache. Viele davon kennt heute kaum noch einer. Und wenn doch, gilt es als altmodisch, sie zu befolgen. Doch auch in unseren Zeiten der Quereinsteigerei und des fehlenden Archivbewusstseins bleiben diese Regeln wahr und beherzigenswert.

Ein Beispiel aus der Filmkunst ist jenes von der Rückblende, die nicht lügen darf. Wenn ein Charakter dem anderen ein Ereignis schildert und dabei lügt, ist das eine Sache. Wenn wir dazu aber die unrichtigen Bilder sehen, sind wir es, die belogen werden. Und zwar vom Erzähler (dem Regisseur) selbst. Hier ist nicht die Lüge das Problem, sondern die plumpe Art ihrer Verabreichung.
O welche Freude es doch ist, auf raffinierte Weise beschummelt und auf’s Glatteis geführt zu werden! Etwa so: wir sehen den Schattenriss einer Person, die wir für die alte Mrs. Bates halten, als Marion Crane unter der Dusche erstochen wird. Später begreifen wir, dass wir uns geirrt haben – und warum wir uns geirrt haben.

Vom Regisseur dieser Glanzleistung (1960) stammen auch die berühmtesten Beispiele für dubiose Regelverstöße. In „Sabotage“ (1936) baut Alfred Hitchcock große Spannung mit einer Bombe auf, die hoffentlich nicht explodieren wird. Als sie es dann doch tat – und sich unter den Opfern ein niedlicher Junge befand, der ein noch niedlicheres Hündchen kraulte – waren große Teile des Auditoriums verstimmt.
Noch berühmt-berüchtigter: Hitchcocks lügende Rückblende in „Die rote Lola“ (1950). Gleich zu Beginn des Films werden wir vom Schurken angelogen und halten ihn für den Helden. Und zwar weil wir das Ganze auch zu sehen bekommen. Der Film war ein Flop – nicht nur wegen dieses Vorfalls, wie einige Kritiker meinten.

Viele dieser ungeschriebenen Gesetze gelten auch im Hörspiel. Dort fallen sie weniger auf, weil das Hörspiel das weniger diskutierte Genre der Unterhaltung ist. Aber sie sind dort genauso wichtig.

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