Gerade Gedrucktes gelesen: „Bilder von Zuckerinseln“

betr.: Sklaverei und Kolonialismus (in der Literatur und anderswo)

Von Zeit zu Zeit finde ich in einem periodischen Medium etwas so überwältigend gut Formuliertes und Einleuchtendes, dass ich sofort nachschaue, ob es sich um einen Buchauszug handelt – denn dann bestünde ja immerhin die vage Hoffnung, es bei Bedarf wiederfinden zu können. Ist dies nicht der Fall, da der Beitrag ein vergängliches Thema bzw. einen aktuellen Aufhänger hat (und ist das Medium gar eine Tageszeitung), habe ich den Wunsch, ihn hier für das ewige WorldWideWeb zumindest zu markieren.

In ihrem Artikel „Bilder von Zuckerinseln“ in der „taz“ vom heutigen Tage fasst Renate Kraft das Große und Kleine Einmaleins von Sklaverei und Kolonialismus zu einer flüssig lesbaren und gänzlich schmalzfreien Pflichtlektüre für jeden zusammen, der absehbar in einen Diskurs zu diesem Themenkreis geraten könnte – und wer will das heutzutage ausschließen?
Bitte unbedingt ausreißen und aufheben, zumal hier sogar die (belletristische) Referenzliteratur mit eingebaut ist!
Was die Autorin nebenbei über den MacGuffin dieses Textes – den Zucker an sich – zu sagen hat, sei hier kurz herausraffiniert. Als Vorgeschmack.

Zucker war jahrhundertelang das Produkt mühseliger Plackerei auf Pflanzungen des nahen und fernen Ostens und mithin ein Luxusartikel für Wohlhabende, während sich die große Mehrheit – zumal in Europa – mit Früchten und Honig zufriedengeben musste. Aber Zucker ist das Genussmittel schlechthin: ein Stoff, der die Nahrungsaufnahme in ein Vergnügen verwandelt. Gebäck und Desserts, konservierte Früchte, die meisten Getränke – sie benötigen Zucker. Traditionell wird Zucker mit Liebe und Zärtlichkeit assoziiert; unser Liebesvokabular kreist um die Vorstellung von Süße. Kurzum: Der europäische Hunger auf Zucker ließ sich durch ein paar Rosinen im Getreidebrei nicht füllen.
Im 18. Jahrhundert gab es Zucker plötzlich günstig zu kaufen: Auf den karibischen Inseln wurde Rohrzucker von Sklaven angebaut und in großen Mengen nach Europa exportiert. Es war die Sklavenarbeit, die ihn so billig machte. So eng verbanden sich im Bewusstsein der Europäer die karibischen Inseln mit der Zuckererzeugung, dass man bald von den „Zuckerinseln“ sprach.
Als Metapher für schuldbeladenes Genießen funktioniert die karibische Zuckerplantage nicht mehr: Zucker wird heute maschinell und überwiegend aus Zuckerrüben gewonnen. Aber der üppige Konsum im globalen Norden der Gegenwart ist inzwischen in andere Schuldzusammenhänge verstrickt.

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