Pfeifregister, letztes Loch

betr.: 99. Geburtstag von Yma Sumac

Die Konsequenz, mit der sich die Kino-Diven Greta Garbo und (mit einem Moment der Schwäche) Marlene Dietrich der Öffentlichkeit entzogen haben, fand ich seinerzeit ein wenig übertrieben. Das war weniger Voyeurismus als Vielmehr der Wunsch, die Damen zu ihren späten Lebzeiten noch einmal wiederzusehen (besonders im Fall von Marlene).
Die komplexen Gründe für einen solchen Rückzug konnte ich noch nicht begreifen: dass große Künstler beiderlei Geschlechts im Alter nicht nur verändert aussehen, sondern sich auch anders bewegen und verhalten. Dass sie außerdem anders klingen. Und dass sie beides nicht immer unter Kontrolle haben. Ich lernte es dann auf die harte Tour, als der Auftritt der greisen Zarah Leander – die auch sonst nicht öffentlichkeitsscheu war – in einer Wiederholung von der Berliner Funkausstellung 1975 im Fernsehen kam: ein ebenso grauenvolles wie unvergessliches Ereignis.
Ein paar Nummern kleiner fiel meine letzte Begegnung mit dem mexikanischen Stimmwunder Yma Sumac aus.

Anders als die Leander hat sie durchaus versucht, sich weiterhin so zu bewegen und zu verhalten wie in ihrer Glanzzeit – freilich mit verkürzten und weniger wohlkehligen Oktaven, aber in unvermindert rassig-leidenschaftlichen Verführungsposen, die bei älteren Damen allenfalls dann sympathisch wirken, wenn diese nach mehreren Likörchen vom plötzlichen Auflegen einer Milva-Platte überrascht werden – in privater Runde also. Frau Sumac jedoch wurde in dieser Situation vom Norddeutschen Fernsehen (N3) übertragen. Es war Mitte der 90er Jahre.
Die Sängerin arbeitete sich durch einen ersten Song, dann ließ sie sich vom Moderator begrüßen und kündigte einen zweiten an: ein Schlummerlied, bei dem sie nun ein imaginäres Kind in den Armen wiegen würde. Ihr ohnehin strenger Gesichtsausdruck – der uns wohl sagen wollte: das ist eine ernste Sache, was ich hier mache, und das kann nicht jeder (was ja beides stimmt) – verfinsterte sich nochmals, als sie der Band zum Einsatz einen ruckartigen Blick zuwarf. Nach wenigen Tönen brach sie ihren Vortrag ab, und ihre Miene wurde nun weich, beinahe privat. Nein, nein, das ginge nicht, sagte sie in die Stille des ergeben lauschenden Auditoriums hinein. Eine Zuschauerin habe gelacht. So könne sie nicht arbeiten, sie müsse nun abbrechen. Sumac ließ sich noch einmal bitten und ging ab.
Reflexhaft setzte sich mein emotionaler Aufräumdienst in Bewegung. Ich versuchte, Verständnis für dieses Betragen zu generieren. Sah das Bühnenbild (die nachgemalte Innenwand einer aztekischen Stufenpyramide) nicht doch ein wenig imperialistisch aus? War der Gastgeber der Sendung nicht etwas unwürdig gekleidet (Corny Littmann, der seinen einstigen Aktivismus nun zur besten Sendezeit in betont alberner Aufmachung auslebte)? Und dass die Reeperbahn, von wo das Ereignis übertragen wurde, keine reine Bums-Meile mehr war, sondern gerade eine Wiedergeburt als nationaler Entertainment-Hotspot erlebte, hat die von weit angereiste Sängerin ja nicht wissen können …
Es half nichts. Mein Verständnis ist ausgeblieben.

P.S.: Abbrechen ist nicht gleich Abbrechen. Helge Schneider hat kürzlich aus ganz anderen Gründen einen Auftritt vorzeitig beendet und dies vor wenigen Tagen bei „maischberger. die woche“ erläutert. Er hat mein vollstes Verständnis.

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