Die Hölle der Drittprominenz, A. D. 1848

betr.: 173. Jahrestag des Arbeitsunfalls von Phineas Gage

Der fabelhaft aussehende Einäugige auf dem historischen Foto trägt keine Augenklappe, er posiert mit einer Eisenstange. Das Bild aus dem Privatbesitz des Abgebildeten Phineas Gage tauchte im Jahre 2009, 149 Jahre nach seinem Tode, wieder auf und brachte die Hirnforscher völlig aus dem Häuschen.
Gage war als Vorarbeiter beim Eisenbahnbau in Vermont verunglückt: bei der Vorbereitung einer Sprengung hatte ihm eine 3 cm dicke und 109 cm lange Eisenstange unterhalb des linken Jochbeins den Schädel durchstoßen. Gage überlebte nicht nur wundersamerweise, er blieb sogar bei Bewusstsein. Innerhalb weniger Wochen erholte er sich weitgehend: Intelligenz, Gedächtnis und Geschicklichkeit waren unbeeinträchtigt. Was er verlor, waren sein linkes Auge und seine Persönlichkeit. Aus dem als sympathisch und gewissenhaft beschriebenen Kollegen wurde ein jähzorniger Widerling. Gage wurde außerdem kurzzeitig prominent – als Gegenstand der Hirnforschung – und landete danach offensichtlich beim Tingeltangel. Das aufgetauchte Foto wird allgemein so gedeutet, dass er sich als Attraktion zur Schau gestellt hat. Das geschah zur damaligen Zeit in fahrenden Freak-Shows. Heute wäre Mr. Gage ein Fall fürs „Dschungelcamp“ (zumal er auch nach seinem Unfall fabelhaft aussah), doch derart feine Verästelungen des Boulevards hatten sich zu seiner Zeit noch nicht ausgeprägt.

Immerhin die Wissenschaft hat von seinem Fall profitiert . Seither ist klar, dass sich im Frontalhirn die Wesenszüge eines Menschen verbergen. Sie sind es, die als erste verloren gehen, wenn ein Mensch an FTD (Frontotemporale Demenz) erkrankt, einer Krankheit, die tückischer ist als etwa die Alzheimer-Krankheit, da sie Empathie und Charakter ruiniert, aber Gedächtnis und Kombinationsgabe zunächst unbehelligt lässt (was den Freundeskreis verfliegen lässt, die Angehörigen aber vor besondere Herausforderungen stellt). Außerdem tritt FTD sehr viel früher auf als andere Demenzerkrankungen.  

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